Frankreichs Premier Juppe biß sich auf die Lippen. Zum Austausch über Menschenrechtsfragen wollte sein Gast aus China sich nicht mit ihm zu Tisch setzen. Dafür fliegen bald 33 Airbusse von Toulouse nach Peking - macht 1,5 Milliarden Dollar

Frankreichs Premier Juppé biß sich auf die Lippen. Zum Austausch über Menschenrechtsfragen wollte sein Gast aus China sich nicht mit ihm zu Tisch setzen. Dafür fliegen bald 33 Airbusse von Toulouse nach Peking – macht 1,5 Milliarden Dollar

Lautes Schweigen beim Diner in Paris

Besonders entspannt sei die Stimmung nicht gewesen, hieß es gestern im Umfeld des französischen Premierministers Alain Juppé über das Debakel beim Abendessen vom Vortag, schließlich sei es „völlig unüblich“, daß zwei Premierminister miteinander speisen, ohne Ansprachen zu halten.

Mit über anderthalbstündiger Verspätung und strengen Gesichtszügen waren die chinesischen Gäste am Mittwoch abend in Paris zum Essen erschienen. Zuvor hatten sie dafür gesorgt, daß das Thema Menschenrechte mit keinem Wort erwähnt würde. Gastgeber Juppé gab klein bei: Er strich nicht nur den inkriminierten Passus, sondern gleich seinen ganzen Toast. Mit zusammengebissenen Zähnen geleitete er den chinesischen Premierminister Li Peng von dessen Auto ins Palais Matignon, wo die 300 Gäste, darunter zahlreiche französische Industrielle, warteten. Im Anschluß an das zensierte Vergnügen unterzeichneten sie Kaufverträge über 33 Airbusse im Gegenwert von 2,2 Milliarden Mark.

„Es ist unsere Erfahrung und unsere Überzeugung, daß jede wirtschaftliche und soziale Entwicklung von parallelem Fortschritt von Demokratie und Menschenrechten begleitet wird“, hatte Juppé in seiner Tischrede sagen wollen. Der zehnköpfigen chinesischen Delegation ging dieser Kommentar entschieden zu weit. Sie war zum Geschäftemachen nach Paris gekommen, nicht um sich in ihre inneren Angelegenheiten hineinreden zu lassen.

Die Folgen derartiger „Einmischungen“ hatten schon die luxemburgische und die niederländische Regierung, die Li Peng ursprünglich im Anschluß an seine Parisreise hatte besuchen wollen, gespürt. Nachdem ein niederländischer Minister einen chinesischen Dissidenten für seine Aktivitäten ausgezeichnet hatte, kam postwendend die Absage aus Peking.

Juppé wurde seine Menschenrechtsbotschaft letztlich nur bei den Vorgesprächen hinter verschlossenen Türen los. Dort soll er, nach Auskunft seiner Mitarbeiter, auch eine Liste mit den Namen chinesischer Dissidenten übergeben haben, um die sich Frankreich besondere Sorgen macht. Die Namen veröffentlichte die französische Regierung nicht.

Auch in geschäftlicher Hinsicht enttäuschten die Chinesen ihre Gastgeber, die entschieden weitgehendere Aufträge aus dem Land mit der zehnprozentigen Wachstumsrate pro Jahr erwartet hatten. Frankreich, das bislang nur auf dem elften Platz der Chinalieferanten steht, strebt Höheres an. Wichtiger Orientierungspunkt ist dabei Deutschland. Deutsche Waren machen immerhin 6,1 Prozent der chinesischen Importe aus. Für die französische Exportwirtschaft wäre ein vergleichbarer Rang interessant. Doch Li Peng dämpfte die Hoffnungen. Bereits kurz vor seiner Ankunft ließ er die Gastgeber wissen, daß er seine Delegation im Gegensatz zu den ursprünglichen Plänen stark reduziert hat: Zahlreiche Industriechefs blieben zu Hause.

Das Gewissen der „Heimat der Menschenrechte“ manifestierte sich in den vergangenen Tagen nicht in den Palästen der Republik, sondern – gut abgeschirmt – auf den Straßen Frnakreichs. Das Komitee „Li Peng – wir vergessen Tiananmen nicht“ hatte für Mittwoch zu einer Demonstration am Trocadero in Paris, nicht weit von der chinesischen Botschaft, aufgerufen. Obwohl beinahe alle Medien den Aufruf veröffentlicht hatten, kamen nur rund 2.000 Menschen. Unter ihnen waren zahlreiche Prominente – von Filmstars über Gewerkschafter bis zu Mitgliedern verflossener sozialistischer Regierungen. Eine kleine Gruppe von Chinesen, zahlreiche Tibeter und besonders viele Taiwaner nahmen ebenfalls teil. Die Kommunistische Partei Frankreichs glänzte durch Abwesenheit. Der kürzliche Chinabesuch ihres Chefs Robert Hue, der, ähnlich dem konservativen Regierungschef Juppé, keine kritischen Bemerkungen über die Menschenrechte machte, dürfte dazu beigetragen haben.

Ein starkes Polizeiaufgebot schirmte die kleine Demonstration ab. Rund um die chinesische Botschaft in Paris sind seit Ankunft von Li Peng Sicherheitskräfte stationiert. Die nächstgelegene Metrostation ist gesprerrt. Einem Lkw von Reporters sans Frontieres gelang es gestern trotzdem, für die Pressefreiheit in China vor die Botschaft zu fahren. Beinahe gleichzeitig schwebte ein Greenpeace- Aktivist über den Arc de Triomphe, um gegen die Fortführung der chinesischen Atomtests zu protestieren.

Bereits am Vortag hatten Mitglieder von amnesty international an den Champs-Élysées kurz, aber medienwirksam Transparente gegen Arbeitslager, Zwangsarbeit und andere eklatante Menschenrechtsverletzungen in China gezeigt.

In Toulouse, wo der chinesische Airbus-Auftrag viele Menschen vor der Arbeitslosigkeit retten dürfte, und in Marseille sind für den Rest der Li-Peng-Visite weitere Demonstrationen geplant. Das Thema Tibet stand bei der Resolution von über 200 französischen ParlamentarierInnenn aller Couleur im Vordergrund. Sie verlangten, just am Tag der Ankunft von Li Peng in Frankreich, die Souveränität des besetzten Landes.

Ob der Zwischenfall beim Abendessen zum Schaden oder zum Nutzen von Juppé ausfällt, war gestern in Paris durchaus umstritten. Die chinesische Botschaft wollte rein gar nichts dazu sagen. Mitglieder von Juppés regierender Mehrheit hatten hingegen bereits im Vorfeld des umstrittenen Besuchs den Rahmen markiert. Der Glaubenssatz, Menschenrechte ließen sich am besten durch Geschäfte beeinflussen, war in vieler Munde. China sei erst vor kurzem aus dem Mittelalter herausgekommen, hatte der alte Gaullist Pierrefitte erklärt, in diesem Zusammenhang müßte auch die Debatte über Menschenrechte gesehen werden.

Die Opposition bestreitet, daß Juppé die Fahne der universellen französischen Werte hochgehalten hat. „Er hat klein beigegeben“, sagte der Sprecher der Sozialistischen Partei, „er hat nichts gesagt.“ Dorothea Hahn, Paris