Vorauseilend geschwärzt

■ Heute treibt sich „Explosiv“ zum eintausendsten Mal auf dem Boulevard der Schrecknisse herum (19.10 Uhr, RTL)

Natürlich war Reemtsma auch für „Explosiv“ ein gefundenes Fressen. Und natürlich sind solche Ereignisse wie die Entführung des Multimillionärs wie gemacht für das „Boulevard-Magazin“, das – geschickt zwischen „RTL-Aktuell“ und den „Guten Zeiten“ plaziert – das Unterhaltungsbedürfnis einer wachsenden Zuschauerschar heute zum 1.000 Mal befriedigt.

Wer aber voreilig an das reißerische Image der Sendereihe gedacht und sich deshalb von „Explosiv“ noch mehr Details der Entführung, noch mehr Sensation, noch mehr Täterhatz erwartet hatte, wurde enttäuscht. Denn „Explosiv“ ist längst nicht mehr so explosiv wie weiland das gleichnamige Nachtmagazin mit Ulrich Meyer. Und wer mit dem Namen noch immer den „Heißen Stuhl“ verbindet, an dem sind die 999 Ausgaben des Magazins wohl vorübergegangen.

Gewiß: „Explosiv“ macht Boulevard, und man könnte sicher an dieser Stelle auch mühsam eine kleine Skandalchronik zusammensuchen. Aber das Interessantere an „Explosiv“ ist doch wohl eher, daß der Ruf der Show längst besser (weil schlechter) ist als das Produkt selbst. Die frühe Sendezeit hat auch die Redaktion um Barbara Eligmann zu mehr vermeintlicher Seriosität gezwungen: „Nackte Haut und Gewaltszenen sind ein striktes Tabu“, erklärt „Explosiv“- Chef Hilmer Rolff. Das bezieht sich zwar nur auf die Auswahl der Bilder, nicht etwa auf die Themen, ist aber dennoch ein deutlich gewagteres Lippenbekenntnis, als es sich jene Formate leisten könnten, die in Folge des „Explosiv“-Erfolges auf anderen Kanälen entwickelt wurden.

Gut fünf Millionen Zuschauer täglich versorgte das Magazin im letzten Jahr mit den Folgen der kleinen und großen Widerlichkeiten des Lebens. „In den News geht es um das Ereignis an sich. Bei ,Explosiv‘ geht es um die Auswirkungen des Ereignisses auf die Menschen“, sagt Hilmer Rolff. „Was empfinden Menschen, die mit Situationen konfrontiert werden, die ihr Leben ändern?“ Womit wir wieder bei Reemtsma wären, der es aber bisher vorzog, weder „Explosiv“ noch den anderen TV-Sendern bei der Beantwortung ihrer Fragen zu helfen. Wie alle anderen suchte sich auch „Explosiv“ einen – höchstwahrscheinlich teuer überredeten – Kronzeugen. Ausführlich und nicht ohne dramaturgisches Pathos durfte der Mann, bei dem Reemtsma nach seiner Freilassung um Einlaß gebeten hatte, berichten, was der Entführte in seiner größten Not denn so empfunden hatte.

Das ist gewiß recht nah an der Grenze des schlechten Geschmacks. Aber was ist davon zu halten, daß die „Reporter“ von Pro 7 am gleichen Abend dann sogar die komplette Postanschrift des beredten Zeit- und Schreckenszeugen bekanntgaben? Das jedenfalls hatte „Explosiv“ nicht gemacht. Zufall? Vielleicht nicht. Denn in einem rührenden Bemühen, nur ja nichts falsch zu machen, hatten die eifrigen Bildredakteure in dem Reemtsma-Beitrag sogar die Faxnummer auf den Anzeigen der Hamburger Morgenpost geschwärzt. Wer hätte soviel vorauseilenden Opferschutz wohl ausgerechnet hier erwartet? Klaudia Brunst