„Das ist ein Angriff auf den Verfassungsstaat“

■ Verwaltungsjurist Lothar Gosten hält den Ansatz der anstehenden Verwaltungsreform für verfassungswidrig. Handlungsfreiheit darf es für Beamte nicht geben

Berlins Bürokratie will bürgerfreundlich werden. Die Staatsdiener sollen sich künftig mehr um die BürgerInnen und weniger um die Verwaltungsvorschriften kümmern. An deren Stelle treten sogenannte Zielvereinbarungen, die den Amtsleitern in ihrem Verwaltungshandeln mehr Freiräume zugestehen. In allen Bezirken wird zudem ermittelt, was Verwaltungsdienstleistungen wie Reisepässe oder Wohnberechtigungsscheine eigentlich kosten. Damit wird die Stadt in die Lage versetzt, gezielt zu sparen oder Leistungen verschiedener Bezirke zu vergleichen.

Rund 400 Städte in der Bundesrepublik gestalten ihre Behörden nach dem gleichen Prinzip um, aber nur in Berlin haben Amtsjuristen die Refom scharf kritisiert.

Lothar Gosten ist Leiter des Charlottenburger Rechtsamtes und im Vorstand des Verbandes der Verwaltungsjuristen.

taz: Die Verwaltungsreform soll dem Bürger mehr Service bringen und die Verwaltung kostenbewußter machen. Was stört Sie daran?

Lothar Gosten: Die Reform ist seit mindestens 15 Jahren überfällig. Sie muß kommen – aber anders, als es jetzt läuft. Entscheidend ist, daß die Verwaltung gestrafft wird und daß alle Mittel wirtschaftlich eingesetzt werden. Die Praxis sieht aber anders aus.

Warum das harsche Urteil, die Reform sei verfassungswidrig?

Man hätte, bevor man den Auftrag durchführt, prüfen müssen, welche gesetzlichen Vorschriften müssen geändert werden und welche sind überhaupt nicht änderbar, weil es Bundesrecht ist oder in der Verfassung steht.

Reformen wurden immer verhindert. Sollte man nicht mal anfangen?

Auf Bundesgesetze haben wir insoweit gar keinen Einfluß. Aber auch in Berlin müssen wir eine einheitliche Verwaltungssprache behalten. Begriffe wie „Zielvereinbarungen“ stiften da nur Verwirrung. Und eigentlich gibt es das ja bereits. Wir haben immer schon Eigenverantwortung getragen, der eine mehr, der andere weniger.

Eine Zielvereinbarung soll doch dem Amtsleiter mehr Freiraum geben. Er vereinbart mit der politischen Führung nur noch die generellen Zielsetzungen. Wie er sie erreicht, kann der Beamte dann selber entscheiden.

Nein, das geht nicht, denn nach der Verfassung kann eine politische Führung nicht auf das Weisungsrecht verzichten. Sie muß sparsam davon Gebrauch machen, kaum das Wort Weisung erwähnen, aber im kritischen Fall muß der demokratisch legitimierte Senator oder Bezirksstadtrat das letzte Wort haben.

In der Koalitionsvereinbarung steht, daß bis Ende dieses Jahres alle Verwaltungsvorschriften grundsätzlich außer Kraft gesetzt werden – an deren Stelle könnten dann Zielvereinbarungen treten.

Man kann nicht alle Verwaltungsvorschriften wegfallen lassen. Das chaotisiert die Verwaltung, und das ist ein Angriff auf den Verfassungsstaat. Es muß eine Überprüfung erfolgen, welche Verwaltungsvorschriften noch nötig sind, und es müssen auch weniger werden. Das liegt in der Verantwortung der Senatsverwaltungen, daß nicht unentwegt Vorschriften produziert werden. Wer diesen Schaden angerichtet hat, und das ist die politische Führung, ist auch verpflichtet, den wieder rückgängig zu machen.

Aber das wird doch schon seit Jahren gesagt. Wäre es nicht an der Zeit, die Vorschriften endlich mal außer Kraft zu setzen?

Nein! Der Beamte ist doch verpflichtet, sich danach zu richten. Wir können doch kein Chaos erzeugen. Das würde auch einer rechtlichen Überprüfung bei den Gerichten nicht standhalten, die ein einheitliches und nachvollziehbares Verwaltungshandeln innerhalb Berlins verlangen.

Bislang weiß die Verwaltung nicht mal, wieviel ihr Verwaltungshandeln wirklich kostet, etwa die Ausgabe einer Hundemarke. Da ist doch eine Kostenrechnung sinnvoll.

Ob es sinnvoll ist, weiß ich nicht. Aber es ist auf keinen Fall schädlich. Man kann das machen, fragt sich nur, welchen Aufwand man dafür treibt. Da braucht man nicht so ein Brimborium mit den Beratungsfirmen veranstalten. Ich kann das doch auch in einem Bezirk von den Betriebswirten exemplarisch machen lassen und dann zu anderen Städten Vergleiche ziehen.

Aber es soll doch Wettbewerb unter den Bezirken entstehen.

So was gibt's gar nicht. Sie können sich doch nicht aussuchen, in welches Bezirksamt Sie gehen.

Nein, aber Sie können als Charlottenburger – wenn Kreuzberg die gleiche Leistung schneller und billiger anbietet – bei ihrem Bezirksamt Druck machen.

Das nützt dem Bürger gar nichts. Denn die Gebühren sind einheitlich festgesetzt. Das wird auch später so sein: Entweder es kostet mehr oder weniger als jetzt – aber es muß einheitlich sein. Es darf eben nicht in Neukölln, Wedding und Charlottenburg teurer, aber in Kreuzberg billiger sein.

Seit über 20 Jahren versucht man ohne Erfolg, die Verwaltung zu reformieren. Jetzt bringen Sie diese Reform zum Halten.

Nein, wir wollen diese Reform nur zum Halten bringen, soweit sie verfassungswidrig und Unfug ist. Das, was jetzt geschieht, lenkt von den eigentlich notwendigen Reformentscheidungen ab. Und für die braucht man keine Beratungsfirmen. Interview: Christian Füller