Prinzip Gewaltvermeidung

■ betr.: „Polizei zerschlägt Walpur gisfest“, „Nur Streß mit Bullen“, taz vom 2.5. 96

In Ihrer Berichterstattung wird der Eindruck erweckt, das Konzept der Initiative Walpurgisnacht 96 sei von Grund auf gescheitert. Sie berufen sich in Ihrer Berichterstattung ausschließlich auf die Darstellung eines der Koordinatoren des Festes, Nilson Kirchner.

Ich kann seine Enttäuschung verstehen. Seit Juni 1995 gab es intensive Vorbereitungen, das Fest verlief lange friedlich und dann die Eskalation. Aber: Die von einem Ordner der Initiative zitierte Äußerung eines Autonomen macht deutlich, wer Gewalt wollte: „Euer Fest war friedlich, jetzt wollen wir Spaß haben.“

Es ist und kann nicht die Frage sein, ob die Polizei – zumal außerhalb des Veranstaltungsortes – eingreift, ja eingreifen muß, wenn Gewalt gegen Personen oder Sachen angewandt wird. Sie ist hierzu verpflichtet. Nicht zuletzt auch zum Schutz derjenigen, die friedlich feiern wollen und/oder Anwohner sind. Was Nilson Kirchner kritisiert, ist die Tatsache, daß die Polizei über den Kollwitzplatz anrückte, um die Eskalation außerhalb des Platzes zu unterbinden. Über die Frage, ob dies nötig war und in welcher Weise sich dies abgespielt hat, gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen – und dies ist angesichts der unübersichtlichen Situation auch nicht verwunderlich.

Dies zu unterlassen und der Polizei die alleinige Schuld an der Eskalation zuzuweisen schafft eine Atmosphäre, die für 1997 Böses ahnen läßt. Ich setze weiterhin auf das Prinzip der Gewaltvermeidung und in diesem Zusammenhang auf die Strategie einer Sicherheitspartnerschaft, in das Anwohner, Gewerbetreibende, Initiativen und natürlich auch die Polizei eingebunden werden müssen. [...] Wolfgang Thierse, MdB, Berlin

Es ist nun mal Mode, stets die Polizei verantwortlich zu machen. Doch merkt Ihr eigentlich, auf welchen Weg Ihr Euch begebt? Zwei Beispiele: „...als ein Polizeifahrzeug ... sich verfahren hatte und mit Steinen beworfen wurde“ oder „gegen ein Uhr ... hatten Vermummte ... ein Auto angezündet...“

Na, wo leben wir denn? Ich würde jeden krankenhausreif schlagen, der mein Auto anzündet, und woher haben Jugendliche (oder Kinder) so schnell Steine dabei, wenn ein Polizeiauto sich verfährt. Und die „friedlichen Teilnehmer“? Sind es nicht viele Voyeure, wie man sie bei jedem tödlichen Autounfall sehen kann, die nur auf Sensationen warten?

Die in Berlin fremden Jugendlichen, die mich bei meiner Rückkehr von der Mai-Demo der ÖTV und der PDS nach dem Weg zum Kollwitzplatz fragten, sahen nicht so aus, als ob sie nur wegen des 1. Mai den weiten Weg nach Berlin unternommen hätten. Wer Bürgerrechtsdemonstrationen von DDR-Bürgern 1989 noch in Erinnerung hat, kennt den Unterschied zur Kreuzberger Szene. Wer gegen einen Polizeistaat ist, muß nicht deshalb Chaos und Anarchie begrüßen oder billigend in Kauf nehmen. Gerhard Rosenberg