Keine Phrase war zu kitschig

Nach dem 1:0 über Rapid Wien: Mit dem Europapokal in der Hand bewirbt sich St. Germains Trainer Fernandez um Weiteranstellung  ■ Aus Brüssel Christoph Biermann

Luis Fernandez machte die Sache zur ganz großen Seifenoper. Keine Geste war dem Trainer von Paris St. Germain zu kitschig, keine Phrase zu abgedroschen, um aus dem Sieg seiner Mannschaft nicht noch eine Emotion zu wringen. Direkt nach dem Abpfiff hatte er im Stil eines drittklassigen Politikers seine beiden Kinder herbeigeholt und war mit ihnen in die Kurve gegangen, um den jubelnden Fans zuzuwinken. Danach dankte er dafür, mit diesem ersten internationalen Titel für PSG „Geschichte gemacht haben zu dürfen“. Überhaupt wolle er diesen Europapokalgewinn „dem gesamten französischen Fußball widmen“.

Daß diese Überschwänge vor allem den Charakter einer Bewerbung um Weiterbeschäftigung beim Pariser Großklub hatten, war offensichtlich. Nachdem die Mannschaft in den letzten Wochen den Titel in der französischen Liga durch schwache Leistungen wohl endgültig verspielt hat, ist dieser Sieg im Europapokal der Pokalsieger seine letzte Chance, das Millionenteam des Fernsehsenders Canal+ auch in der nächsten Saison weiterbetreuen zu dürfen. Und wer solche Gefühle aufzurühren versteht, ist schwerlich zu entlassen, das wissen seine Arbeitgeber aus dem Mediengeschäft am besten.

In der Woche vor dem Finale hatte sich die Mannschaft nach vielfacher Schelte in den Zeitungen Schweigen gegenüber der Presse auferlegt und sich stumm ins Trainingslager zurückgezogen. Dort hatte sich der französische Tennisheroe Yannick Noah ihrer zarten Seelen angenommen und „seine Erfahrungen mit Finalspielen an uns weitergegeben“, wie Torschütze Bruno N'gotty erklärte. Immerhin hatte der stämmige Manndecker so den Weg zum wahren Selbst gefunden. Als er in der 28. Minute zur Ausführung eines Freistoßes schritt, spürte er nämlich „das innere Gefühl, daß ich ihn hineinschießen will“. Der Wille wurde zum Weg, und aus fast 30 Metern drosch N'gotty den Ball zum Siegtreffer halbhoch ins Tor der Wiener. Zum Dank durfte Noah als Betreuer ehrenhalber mit aufs Siegerpodest und den Cup schwenken.

Rapid Wien wirkte neben den kapriziösen, aber nicht besonders überzeugenden Parisern eher bieder. Rustikal und mutig, wie man es von Kickern des Wiener Arbeiterklubs erwarten durfte, warfen sich sich den französischen Stars Djorkaeff, Loko und Rai entgegen.

Letzterem bereits in der 13. Minute so heftig, daß der ausgetauscht werden mußte. Das erwies sich aber bald als der spielentscheidende Nachteil. Denn fortan übernahm Youri Djorkaeff die Position des Brasilianers hinter den Spitzen und wurde zum besten Spieler seiner Mannschaft. So hatte man selten das Gefühl, die Österreicher könnten den Sieg noch schaffen.

Das lag aber nicht daran, daß Rapid „die erste Halbzeit verschlief“, wie der aus Köln angereiste Toni Polster meinte, oder „einige Spieler nicht ihr Leistungsvermögen erreichten“ (Torwart Michael Konsel). Obwohl ihre Abwehr von einem Spieler mit dem Gesicht eines Contract-Killers organisiert wurde, dem Bulgaren Trifon Ivanov, ergaben sich vor allem in der zweiten Halbzeit viele Chancen für Paris.

Die Bemühungen der eifrigen Kühbauer und Marasek führten auf der Gegenseite hingegen kaum zu Chancen. Erst in der Schlußminute mußte Torwart Bernard Lama nach einem Kopfball von Andreas Heraf einmal wirklich spektakulär retten. Auch Carsten Jancker (21) aus Zierow in Mecklenburg-Vorpommern, als bulliger Goalgetter in den vorherigen Europacup-Runden eine Art Jung- Siegfried der Österreicher, hatte kaum eine Chance. Offensichtlich hingen die Vergleiche mit Legenden wie Bimbo Binder und Hans Krankl zu schwer an ihm. Trainer Ernst Dokupil, zur Zeit von seinem Arbeitsplatz bei der Pensionsversicherungsanstalt freigestellt, gab hinterher zu: „Wir waren spielerisch zu schwach und hätten das Spiel am heutigen Abend nicht gewinnen können.“

Daß die 15.000 Rapid-Fans im Brüsseler König-Baudouin-Stadion ihre Mannschaft nach dem Spiel trotzdem mit minutenlangen Sprechchören feierten, zeigte aber, daß sie trotzdem zufrieden waren. Ihnen war Dabeisein offensichtlich schon fast alles. Schließlich hatten sie vorher mit Ausdauer gesungen: „Finale, Finale. Europacup-Finale!“ Hätte man überhaupt mehr verlangen können? Außerdem war damit der Mythos von Österreichs populärstem Fußballteam auch so schon nachhaltig belegt. Ja, sogar die längst fußballhistorische „Rapid-Viertelstunde“ war beim 4:0 gegen Sporting Lissabon aus dem Grab auferstanden. Wie überhaupt der ganze Klub, und das nur zwei Jahre, nachdem der kurz vor dem Konkurs stand.

Endlich scheint auch das lange Siechtum des österreichischen Fußballs beendet zu sein.„Es tut sich viel bei uns, der Fußball wird wieder gut angesehen“, meinte Rapid-Torwart Konsel.

Daß bereits zwei Jahre nach dem Erreichen des UEFA-Pokal-Finales durch Casino Salzburg wieder eine österreichische Mannschaft ein europäisches Endspiel erreicht hat, bedeutet zumindest, daß man auf der Suche nach goldenen Stunden nicht mehr nur in vergilbten Folianten nachschlagen muß.

Paris St. Germain: Lama - Le Guen - N'gotty, Roche - Fournier (78. Llacer), Bravo, Guerin, Colleter - Rai (11. Dely Valdes), Djorkaeff, Loko

Rapid Wien: Konsel - Iwanow - Schöttel, Hatz, Guggi - Heraf, Stöger, Kühbauer, Marasek - Jancker, Stumpf (46. Barisic)

Tor: 1:0 N'gotty (27.) - Zuschauer: 37.500 (ausverkauft)