: „Ich hab' am liebsten Ruhe“
Krautrock ist überlebbar: Lüül alias Lutz Ulbrich besingt den „Mond von Moabit“, zehrt von der Vergangenheit und spielt heute – vielleicht „seriöser“ – selbst Rentnern was vor ■ Von Thomas Winkler
In Kreuzberg ist was los, auch im Wedding wohnen Menschen. In Moabit gibt es ein Gefängnis. Aber wer mal an der Turmstraße die U-Bahn verlassen hat, mußte feststellen, daß es dort Mietshäuser gibt. Nur, wer kennt schon jemanden, der einmal Moabit überzeugt Heimat nannte? Moabit dient Neuberlinern als erste Heimstatt, ein Zimmer, Hinterhof, Souterrain, es ist nicht weit zur TU, aber auf Dauer?
Selbst Lutz Ulbrich, und der wohnt seit mehr als 20 Jahren hier, gibt zu, daß Moabit „ein muffiger Bezirk ohne Flair“ ist. Trotzdem hat Lüül, wie er sich nennt, eine Platte gemacht, die nicht nur „Mond von Moabit“ heißt, sondern auch sein „Dankeschön an den Bezirk“ sein soll. Im nächsten Atemzug gibt er allerdings zu, daß „die Platte wohl nicht anders geworden wäre, wenn ich seit 20 Jahren in Kreuzberg oder Prenzlauer Berg leben würde. Ich bin öfters umgezogen, aber komischerweise habe ich immer nur hier Wohnungen gefunden.“
Einer, der damals mittendrin war
So oder so, aber ausgerechnet hier, in dieser überaus durchschnittlichen Zweizimmeraltbauwohnung, findet man einen freundlichen Mann mittleren Alters, dessen jungenhaftem Gesicht unter den blonden Haaren man nicht ansieht, daß er bundesdeutsche Musikgeschichte mitgeschrieben hat. Einer, der mittendrin war, als fusselige Langhaarige entdeckten, was in England und Amerika geschah, als in Deutschland die elektronische Musik entdeckt wurde. Einer von denen, die jahrelang als Krautrocker geschmäht wurden, um in den letzten Jahren rehabilitiert zu werden.
Lutz Ulbrich hat gespielt bei Ash Ra Tempel, durfte die Hinwendung von Tangerine Dream zur Elektronik aus nächster Nähe begutachten, hat mit Klaus Schulze abgehangen, verirrte sich dann völlig obskurerweise in der Neuen Deutschen Welle und landete bei „Formel1“ (für die, die sich nicht erinnern mögen: „Deutschlands erste Videoclipsendung“, ich sage nur: Peter Illmann, Ingolf Lück, Stefanie Tücking).
Und Ulbrich war vier Jahre lang Begleitmusiker und Lebensgefährte von Nico. Der 43jährige weiß nicht recht, ob er darüber sprechen möchte oder sollte. Zum einen ist ihm die Geschichte zu privat, zum anderen weiß er, „daß mir die Zeit mit Nico heute wieder zugute kommt.“
Weit entfernt, auf der anderen Seite des großen Wassers, tobte gerade der Sommer der Liebe, und der kleine Lutz ging noch aufs Gymnasium. Mach lieber Abitur, hatte sich der damals 15jährige gesagt, da hast du immer viel Ferien. Die Beatles liebten er und seine Freunde, also was lag näher, als die zwei Jahre Quälerei im klassischen Gitarrenunterricht umzusetzen. Mit dem Kindergartenkumpel Christoph Franke, der auf Waschmittelkartons trommelte, jammte er herum. Die beiden gründeten mit zwei Schulfreunden die inzwischen vergessene Avantgardekapelle Agitation Free.
Innerhalb der kleinen Berliner Szene kannte man sich prinzipiell: „So 1968 haben sich Ton Steine Scherben mal unsere Anlage ausgeliehen, da kriege ich noch 40 Mark von denen.“ Agitation Free übten in der Kommune 1 ihre an Pink Floyd angelehnte Psychedelia und machten große Augen. Schließlich lebten die vier Schüler noch bei ihren Eltern im Eichkamp, während ihre Zuhörer Rainer Langhans und Fritz Teufel revolutionäre Lebensformen probten.
Der musikalische Wendepunkt kam im Studio des Berliner Senats in der Pfalzburger Straße, wo sich unter anderem die Musiker von Agitation Free, Tangerine Dream und Ash Ra Tempel kennenlernten und ihnen vom Avantgardekomponisten Thomas Kessler die Grundlagen der Elektronik vermittelt wurden. „Durch Kesslers Einfluß ist der deutsche Avantgarderock der 70er entstanden.“ Doch während die anderen weiter brav zur Schule gingen, ließ sich von Agitation Free nur Franke ganz auf die neuen Klänge ein. „Christoph geht mit 17 von der Schule ab“, erzählt Ulbrich heute noch bewundernd, „verscherbelt sein Schlagzeug und kauft sich einen Synthesizer. Wir wußten nicht mal, wie man Synthesizer schreibt.“
1970 wird Franke schließlich zu Tangerine Dream wechseln. Die dritte und letzte Platte von Agitation Free erscheint 1974 erst nach der offiziellen Auflösung der Band. Für Ulbrich beginnt in Kesslers Studio eine Freundschaft mit Manuel Göttsching, dem Kopf und meistens einzigen Mitglied von Ash Ra Tempel. Später wird Ulbrich immer wieder bei Ash Ra spielen.
Die Zeiten damals hat er in vollen Zügen genossen. „Ich sag's nicht gerne, aber in meiner Generation war das eben so mit den Drogen. Der Joint war das erste, dann kam Acid und dann halt die harten Sachen.“ Auch für Ulbrich selbst, der eine Zeitlang auf Heroin war. „Ein paar sind gestorben, aber viele sind doch noch ganz fidel.“ Die Erfahrungen haben ihre Spuren hinterlassen: „Mein Gehirn ist schon zerschrammt genug, von den neuen Sachen wie Ecstasy habe ich keine Ahnung.“ Und auch was aktuelle musikalische Entwicklungen angeht ist er „ein Muffel. Ich hör' kein Radio, ich kaufe nie Platten, den CD-Player hab' ich geschenkt bekommen. Ich hab' am liebsten Ruhe, es gibt viel zu viel Musik.“
Jenseits von Moabit, mit Nico und Ash Ra
Nach dem Ende von Agitation Free lernte er Mitte der 70er Nico kennen, die er vier Jahre nicht nur über die Konzertbühnen begleitete. Sie lebten in Paris und gingen 1979 für ein halbes Jahr zusammen in die USA. Bei einem Auftritt im CBGBs lernt Ulbrich John Cale kennen und sie wohnen im berühmt-berüchtigten Chelsea-Hotel, wo „zwei, drei Zimmer von uns entfernt“ kurz zuvor Sid Vicious seine Freundin Nancy Spungen ins Jenseits befördert hatte.
In der zweiten Hälfte der 70er tourte Ulbrich nicht nur immer wieder mit Nico, sondern spielte mehr oder weniger fest mit Göttsching, der zwischenzeitlich mit Timothy Leary Trips geschmissen und den Namen seines Projekts inzwischen auf Ash Ra verkürzt hatte. Ash Ra wollten „dem Hörer die innere Ruhe des Kosmos schenken“, wie Göttsching es in den 70ern formulierte. Eine Ruhe, die wohl auch verhinderte, daß er so erfolgreich wurde wie die ehemaligen Kumpels aus Kesslers Studio.
Mit dem immer noch in Berlin lebenden Göttsching ist Ulbrich heute noch befreundet, aber andere Wege haben sich getrennt. Michael Hoenig, der bei Agitation Free und Tangerine Dream spielte, ging ebenso nach Hollywood wie Christoph Franke. Dort arbeiten die beiden inzwischen als Soundtrack-Komponisten. Hoenig schrieb die Musik für „Koyaanisqatsi“, Franke ist noch dicker im Geschäft, ob nun für seichte Filme („Universal Soldier“, „Raven“) oder noch seichtere Fernsehserien („Tales from the Crypt“).
Doch Ulbrich hatte genug von der weiten Welt, kam zurück nach Berlin und brachte 1980 seine erste, schlicht „Lüül“ betitelte Soloplatte heraus, zu der Nico einen Gesangspart beisteuerte. Auf der fand sich mit dem Ohrwurm „Morgens in der U-Bahn“, den er wieder mit Christoph Franke aufgenommen hatte, ein mittelschwerer Hit, bei dem der Althippie ausgerechnet den Tonfall der sich gerade in ihrer Hochzeit befindlichen Neuen Deutschen Welle getroffen hatte.
Prompt verpaßte ihm seine Plattenfirma ein neues Outfit: kurze Haare, eckige Sonnenbrille, Krawatte und weißer Anzug. „Ich stehe dazu“, erzählt Ulbrich, „aber teilweise ist mir das schon peinlich, wenn ich das heute höre.“ Mit der kurz darauf folgenden zweiten Platte „hatten wir sogar ein paar Fernsehauftritte“, aber gerade der Auftritt in der damals über Sein oder Nichtsein entscheidenden Videosendung „Formel 1“ führte ihm vor Augen, daß er „die Schnauze voll hatte von diesem Hitparadenscheiß“.
Zurück in Moabit, mit Theater und Taxischein
Er schmiß alles hin und landete 1983 schließlich als Komponist bei der Musiktheatergruppe Reineke Fuchs. Jahrelang hangelte man sich dort von Produktion zu Produktion, aber er wußte, was er tat, und warum. Und von Existenzängsten hatte er sich schon vor Jahrzehnten verabschiedet, auch wenn Geld fast immer ein Problem war.
Hin und wieder flattert zwar ein Scheck von der GEMA ins Haus, weil durch das Krautrock-Revival Ash Ra sich wieder ganz gut verkaufen. Virgin brachte vor kurzem sogar einen Ash-Ra-Sampler neu auf den Markt: „In den frühen 70ern habe ich beschlossen, Berufsmusiker zu werden“, und wenn gar nichts mehr ging, kam er nach Berlin zurück, wo er sich mit dem Taxischein, den er „als Absicherung“ gemacht hatte, über Wasser hielt. 1992 aber „hatte sich Reineke Fuchs verabschiedet“, und Ulbrich machte erst mal Pause. Nach neun Monaten Südamerika wieder zurück im „stinkigen Berlin“, mußte was passieren, also begann er wieder mit der Musik.
„Früher haben wir einfach gemacht, gar nicht überlegt. Heute gibt's viel mehr Sachzwänge, alles kostet viel mehr.“ Finanziert bekommen hat Lüül den „Mond von Moabit“ dank der Beteiligung der Musiker. Und mußte dann feststellen, daß es für ihn nach fast einem Jahrzehnt in einer anderen Branche „ganz schön haarig“ war, „Platten zu verkaufen oder überhaupt in Berlin aufzutreten“. Die Ersparnisse reichten für die 1.000 gepreßten Stück, die nun bei Konzerten verkauft werden oder mit denen Ulbrich durch die Plattenläden tingelt und hier und dort ein paar Stück losschlägt.
Mit Neo-Krautrock wieder unterwegs
So spielt sich Lüül momentan durch die kleinen Klubs und schreckt nicht vor Auftritten bei WOM zurück („da haben wir uns zum Affen gemacht“). Neben der Band und seinen eigenen Songs hat er vor allem viel Vergnügen an dem Nebenprojekt 17 Hippies, die auch schon mal ohne Gage „Walzer, Bayerisches, Polnisches oder Klezmer, den Kriminal-Tango oder ein paar alte Schlager“ spielen.
Ulbrich hatte für das „Salonorchester“ eigentlich eine Tournee durch Berliner Altenheime ins Auge gefaßt, scheiterte aber am Widerstand der Bürokratie, die nicht verstehen wollte, warum jemand umsonst Rentner unterhalten möchte. „Einmal hat man uns gesagt, es geht nicht, weil sie erst noch Tischdecken organisieren müßten.“ Immerhin, ein Auftritt in einem Pflegeheim in Steglitz kam zustande, aber „das war gruselig, die haben uns nur angestarrt, und dann haben sich da noch drei oder vier Leute von uns einen Magen- Darm-Virus geholt und sind ausgefallen“.
„Aber eigentlich läuft es ganz gut“, und die neue Reputation des Krautrocks kommt ihm sicherlich zugute, auch wenn noch nicht daran zu denken ist, daß er wieder von der Musik leben kann. Auch wenn sich „Mond von Moabit“ alle Mühe gibt, rockig zu klingen, mal experimentiert mit sanften Reggae-Beats oder Sprechgesang, weiß er selbst, daß er sich musikalisch nicht auf der Höhe der Zeit befindet. Aber, so hofft er, „vielleicht wirke ich jetzt seriöser oder authentischer“. Die Auftritte haben ihn jedenfalls darin bestärkt, noch „etwas vermitteln“ zu können.
Angesprochen auf die Hamburger Schule zeigt er sich zwar interessiert, aber Blumfeld oder Tocotronic kennt er „nur vom Hörensagen“. So rückt er mit seinen betulichen Texten und der eher konventionellen Umsetzung im Vergleich zu den letzten Versuchen, mit der deutschen Sprache Pop zu machen, automatisch in eine Ecke, die ihm nicht recht behagt. „Wer will schon gerne Liedermacher sein, das hat dieses altbackene Image, aber irgendwo stimmt's natürlich. Letztens hat es jemand Neo- Krautrock genannt, das fand ich schon wieder lustig.“
Lüül: „Mond von Moabit“ (Pool)
Lüül tritt am 12. und 19.5. im Zosch in Mitte auf. „Der Hippie Zirkus“ mit 17 Hippies, Lüül u.a. ist am 17.5. im Tränenpalast zu sehen, und am 24.5. ist Lüül im Pfefferberg (Bob Dylan Tribute) im Prenzlauer Berg
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