Das hinduistische Janusgesicht der BJP

Die kurze Geschichte Indiens stärkster der Partei ist geprägt von einem Richtungsstreit  ■ Aus Neu Delhi Bernard Imhasly

Zwölf Jahre nach einer vernichtenden Niederlage bei den Parlamentswahlen, die ihr ganze zwei Sitze bescherte, ist die hinduistische BJP nun die stärkste politische Kraft Indiens geworden. Die Bharatiya Janata Party (BJP) läßt sich als „Indische Volkspartei“ übersetzen. Als die Partei 1981 aus der Taufe gehoben wurde, griffen ihre Paten bewußt zur Bezeichnung „Bharat“ für Indien und vermieden den Namen „Hindustan“. Nichts sollte auf die ideologische Verwandtschaft zu rechtsideologischem Gedankengut und dessen Betonung religiöser hinduistischer Werte hinweisen. Die neue BJP sollte eine nationalistische Plattform sein und wollte alle Inder ansprechen – aus allen Kasten und Religionen. Dies sei die einzige Chance, so Gründungspräsident Atal Behari Vajpayee, um die Kongreß-Partei aus ihrer dominanten Stellung zu verdrängen. Denn deren Erfolg basiere auf der Einsicht, daß eine Partei nur dann die Macht im Land erringen könne, wenn sie dessen soziale, ethnische und religiöse Vielfalt widerspiegele.

Doch ein Ereignis in einem südindischen Dorf im Jahre 1982 führte bereits kurz nach Gründung der BJP zu ersten Richtungskämpfen. In Meenakshipuram hatten sich alle kastenlosen Bewohner zum Islam bekehren lassen, angelockt durch Hilfsgelder aus dem Mittleren Osten und mit der Hoffnung, dem sozialen Stigma ihrer Kaste zu entgehen. Vajpayee drängte in dieser Situation darauf, die Parteiarbeit auf den Einbezug aller Kasten zu konzentrieren, ein anderer Flügel dagegen gab einer betont antiislamischen Linie den Vorzug.

Die Linie von Vajpayee setzte sich durch, doch nicht für lange. Bei den Wahlen von 1984 errang die BJP gerade zwei Sitze, und Vajpayee selbst verlor seinen Sitz an den Kandidaten der Kongreß-Partei. Es war in erster Linie das Resultat der Sympathiewelle, die den neuen Kongreß-Präsidenten Rajiv Gandhi nach der Ermordung seiner Mutter Indira an die Macht gebracht hatte.

Doch für den hinduistischen Flügel der BJP war es eine Gelegenheit, Vajpayee und dessen gemäßigte Linie für die Niederlage verantwortlich zu machen. Ihr Führer L.K. Advani ging davon aus, daß ein Appell an die 80 Prozent Hindus genügen würde, um an die Macht zu kommen. Advani wählte den Tempel von Ayodhya als symbolischen Sammelpunkt seiner Bewegung.

Ayodhya war der mythische Geburtsort des Hindu-Gottes Ram, und an diesem geweihten Ort hatten die Muslime eine Moschee erbaut – das Stigma für die Unterdrückung des Hinduismus durch die „Fremden“. Die Zerstörung der Moschee und der Bau eines Ram-Tempels wurde zum Kampfruf Advanis. Der Erfolg ließ nicht auf sich warten: In den Wahlen von 1989 schnellten die BJP-Gewinne auf 86 Sitze hoch, zwei Jahre später auf 123, und in vier Provinzparlamenten errang sie eine Mehrheit.

Der 6. Dezember 1992, als die Moschee unter den Augen der BJP-Führerschicht von einem fanatischen Hindu-Mob gestürmt wurde, markierte einen weiteren Wendepunkt für die Partei. Der landesweite religiöse Eifer schlug plötzlich in einen offenen Religionskrieg mit mehr als tausend Toten um. Eine Serie von Bombenanschlägen im März 1993 in Bombay, vermutlich eine muslimische Rache auf die Pogrome nach Ayodhya, zeigte der BJP zudem, daß sie das Land mit ihrer Konfrontationsstrategie an den Rand des Bürgerkriegs gebracht hatte. Und das Volk zeigte seinerseits, daß es an einer extremen religiösen Agenda wenig Gefallen fand: In den ersten Nachwahlen nach Ayodhya verlor die BJP die Macht in den meisten Bundesländern.

Ayodhya bereitete auch ein Comeback für Vajpayee und sein Anliegen vor, ein möglichst breites Mittelfeld zu besetzen, mit einem Appell an eine gemeinsame indische Kultur, die zwar vom Hinduismus geprägt ist, aber dessen Markenzeichen die Toleranz gegenüber anderen Glaubensformen ist. Diese Strategie schlug sich im Manifest der BJP für die jetzigen Wahlen nieder. Mit bemerkenswerter Einsicht heißt es darin: „Die Politik, die Kaste gegen Kaste, Religionsgemeinschaft gegen Religionsgemeinschaft, Klasse gegen Klasse aufbringt, hat unsere soziale Einheit zerstört... Wir bekennen uns daher zur Förderung des sozialen Friedens – und nicht von Konflikten.“

Der jetzige Erfolg beweist die Richtigkeit dieser Strategie. Sollte die BJP nun auch die Regierung stellen, müßte sie allerdings erst beweisen, daß die von ihr beschworene Rückbesinnung auf Werte der religiösen Toleranz und sozialen Integration mehr sind als nur wahltaktische Manöver.