Auf nach Peking!

■ Jetzt gibt es keinen Grund für Kinkel, nicht zu fahren

Jetzt heißt's Koffer packen, Klaus Kinkel! Auf nach Peking! Bis gestern gab es noch Bedenken gegen Ihre Reise, Sie könnten dort an glasierter Ente knabbern und beim Tee mit Ihrem Amtskollegen Qian Qichen über Absatzmärkte für Kinderspielzeug plaudern, das in chinesischen Gulags gefertigt wurde. Alles andere wäre ja eine völkerrechtswidrige Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas gewesen. Aber diese Sorge hat sich nun erledigt. Peking sei Dank!

Da haben die KP-Genossen doch glatt eine deutsche Institution dichtgemacht – und auch noch eine, die Ihrer FDP sehr nahesteht. Jetzt ist der Außenminister mit seinem sprichwörtlichen Rückgrat gefragt.

Im Juli wollen Sie nach Peking reisen. Um diesen lukrativen Trip nicht zu gefährden, haben sie der Naumann- Stiftung sogar die Gelder für eine Tibet-Tagung gestrichen. Der Stiftungschef, Ihr Parteifreund Otto Graf Lambsdorff, mußte deshalb in Zeitungsanzeigen bei privaten Spendern betteln, um die Veranstaltung zu retten. Doch ausgerechnet diese Stiftung erfordert jetzt Ihr ganzes diplomatisches Geschick in Peking.

Es geht um das deutsche Ansehen – und ums Geschäft. Schließlich hat die Arbeit der Naumann-Stiftung in Peking auch etwas mit wirtschaftlicher Kooperation zu tun. Da werden chinesische Entscheidungsträger gefördert. Funktionäre, Amtsleiter und Bürgermeister lernen, wie freie Marktwirtschaft funktioniert. Knapp eine Million Mark hat sich die Stiftung diese Arbeit jährlich kosten lassen. Das war eine Investition in die Zukunft. Und jetzt das! Kinkel, alter Schwabe, da geht Geld verloren!

Also, nichts wie hin, und mit den Eßstäbchen kräftig auf den Tisch gehauen. Sicher finden Sie auch einen Trupp deutscher Geschäftsleute, die Ihnen bei Ihrer heiklen Mission tapfer zur Seite stehen. Die könnten auf dem Tiananmen-Platz demonstrativ Verträge verbrennen. Sie selbst könnten mit der diplomatischen Anerkennung Tibets durch die Bundesregierung drohen. Hängen Sie sich am besten gleich zur Einreise den Schal um, den Ihnen einst der Dalai Lama geschenkt hat.

Oder denken Sie jetzt etwa über eine Verschiebung der Reise nach? Bloß nicht, Kinkel! Ziehen Sie die Sache durch! Thomas Dreger