: Radfahrerinnen verleiten die muslimische Jugend zu sündigen Gedanken
Eine junge Frau macht zur Zeit in der iranischen Republik Furore. Sie heißt Faise Rafsandschani und ist die Tochter des Staatspräsidenten. Seit Wochen sorgt die 34jährige Politologin, die mit dem Sohn eines bekannten Ajatollah verheiratet ist, für Schlagzeilen in den iranischen Blättern. Bei den Parlamentswahlen bekam Faise, nach dem Kandidaten der rechten Mullahs, die meisten Stimmen der Teheraner. Es seien die Frauen gewesen, so vermutet man, die Faise zu ihrem gewaltigen Sieg verholfen haben. Die Tochter des Staatschefs ist nämlich eine Art Frauenrechtlerin. Als Leiterin des Frauensports empfiehlt sie ihren Schwestern, sich durch Leibesübungen fit zu halten. Für heftige Aufregung sorgte Faise unlängst, als sie vorschlug, den chaotischen Verkehrsverhältnissen in den Großstädten Herr zu werden, indem man den Frauen das Radfahren erlaubt. Während Frauen am Steuer im Iran eine Selbstverständlichkeit sind, war ihnen die Benutzung von Fahrrädern bislang untersagt.
Der Vorschlag brachte die schiitischen Zeloten auf die Barrikaden. „Wären Sie nicht Tochter unseres geliebten Präsidenten“, schrieb die Hisbollah in einem offenen Brief an die Parlamentarierin, „so hätten Sie es gewiß nicht gewagt, derlei Worte auszusprechen. Ihr Vorschlag führt die muslimischen Frauen ins Verderben.“ Auch in der Stadt Qom, der Hochburg der schiitischen Theologie, machten Kleriker gegen die populäre „Feministin“ Front. Fünf anerkannte Ajatollahs verdammten per religiösem Gutachten den Frauensport in der Öffentlichkeit. „Es ist nicht zulässig“, so Ajatollah Behdschat, „daß die Damen in Gegenwart fremder Männer Sport treiben.“
Sein Kollege Ajatollah Mokarim Schirasi ging einen Schritt weiter: „Die Leibesübungen für Frauen in der Öffentlichkeit verletzen die sittlichen Gefühle der Gemeinschaft, und die Zurschaustellung der weiblichen Reize führt zu Unheil und Verderbnis.“ Doch Faise Rafsandschani ließ sich von den frommen Attacken nicht entmutigen. „Diese Scheinempörung“, sagt sie, „richtet sich nicht gegen mich persönlich. Die teuflischen Elemente verfolgen damit andere Ziele.“ Mit „anderen Zielen“ meint die Tochter des Präsidenten wohl die politische Demontage ihres Vaters, die seit Monaten in vollem Gange ist. Inzwischen hat im Fahrradstreit die konservative Richtung den Sieg davongetragen. Seit kurzem patrouillieren Sittenwächter in den öffentlichen Parks und verhaften alle Frauen, die auf zwei Rädern die muslimische Jugend zu sündigen Gedanken verleiten.Ahmad Taheri
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