Genetisches Erbe wird verpraßt

Die Welternährungsorganisation FAO berät ab Montag, wie der Rückgang der Artenvielfalt bei Nutzpflanzen aufgehalten werden kann  ■ Von Wolfgang Löhr

Die Zahlen sind alarmierend: Von den 10.000 Weizensorten, die 1949 in China noch in Gebrauch waren, wurden in den siebziger Jahren nur noch 1.000 angebaut. In den USA ist die Zahl der Sorten von Äpfeln, Mais, Erbsen und Tomaten um bis zu 90 Prozent verringert. Mit dem Rückgang der biologischen Vielfalt unserer Nutzpflanzen gerät die Sicherung der Welternährung in Gefahr. Die Erhaltung und die Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen ist daher Thema der am Montag beginnenden Internationalen Konferenz der Welternährungsorganisation (FAO) in Leipzig.

Eine Woche lang werden die Vertreter der 170 Mitgliedstaaten der FAO über die „besorgniserregende“ Abnahme der Vielfalt bei unseren Nutzpflanzen diskutieren und Gegenmaßnahmen erarbeiten. Begleitet wird die Konferenz von zahlreichen entwicklungspolitischen Gruppen aus aller Welt, die ihren Einfluß geltend machen wollen für eine nachhaltige Sicherung und gerechtere Aufteilung der Pflanzenvielfalt zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, wo der Ursprung des größten Teils unserer Nutzpflanzen liegt. In zahlreichen Veranstaltungen werden ab heute auf dem Treffen der Nichtregierungsorganisationen Vertreter aus der Dritten Welt zu Wort kommen, um über die Situation in ihren Ländern zu berichten.

Basierend auf Berichten aus 151 Ländern hatte die FAO bereits im April einen „Weltzustandsbericht“ über die pflanzengenetischen Ressourcen vorgelegt. Mit einem globalen Aktionsplan, der in Leipzig zur Diskussion steht, soll der weltweiten Generosion entgegengesteuert werden. Gestritten wird aber auch über Fragen, wer die Kontrolle über die genetischen Ressourcen ausüben soll, wer die Kosten für die Sicherung der Welternährung zu tragen hat, und wer an den Profiten beteiligt werden muß.

Alarmiert durch den massiven Verlust der genetischen Ressourcen, versuchte die FAO bereits seit den 70er Jahren mit dem Aus- und Aufbau von Genbanken dem verhängnisvollen Verschwinden von zahllosen Landsorten entgegenzusteuern. Eingelagert in Kühlkammern, sollte die zur Welternährung notwendige Vielfalt unserer Nutzpflanzen aufbewahrt werden. Zugriffs- und Nutzungsrechte waren seither Gegenstand der politischen Auseinandersetzung.

Auf die zunehmende Unzufriedenheit der Ursprungsländer reagierte die FAO im Jahre 1983 mit der Verabschiedung des „International Undertaking for Plant Genetic Ressources“: Die pflanzengenetische Vielfalt wurde zum „gemeinsamen Erbe der Menschheit“ deklariert. Den an Genressourcen armen Industrienationen, die zur Züchtung von immer neuen Hochleistungssorten und zum Einkreuzen von Krankheitsresistenzen auf den Nachschub von neuen Wild- und Landsorten aus den Zentren der Pflanzenvielfalt angewiesen waren, sollte damit der freie und kostenlose Zugang gesichert werden.

Auf dem Erdgipfel 1992 in Rio erkannte die Staatengemeinschaft erstmals an, daß bei der Aufteilung des vermeintlichen Erbes die Länder des Südens benachteiligt wurden. In ihren Ländern befindet sich nicht nur der weitaus überwiegende Teil der zur Ernährungssicherung so wichtigen Pflanzenvielfalt, sie müssen auch die Kosten zu deren Sicherung mittragen. Die Saatgutindustrie befindet sich dagegen vor allem in den Ländern des Nordens. Die Ursprungsländer und Lieferanten der eingekreuzten Sorten wollten nicht weiter leer ausgehen.

Die Bauern in diesen Ländern haben schließlich die lokal angepaßten Landsorten über Jahrtausende gepflegt und weiterentwickelt. „Damit erst haben sie sie auch der internationalen Gemeinschaft zur Verfügung gestellt“, so Rudolf Buntzel von der Projektstelle Umwelt und Entwicklung in Bonn. Mit der Rio-Konvention zur biologischen Vielfalt sollte eine gerechtere Aufteilung der Kosten und des Nutzens festgelegt werden. Die Erhaltung der biologischen Vielfalt wurde zum „gemeinsamen Anliegen der Menschheit“ erklärt.

Auf der Leipziger Tagung soll nun das „International Undertaking“ dem Stand von Rio angepaßt werden. Hinter den Kulissen jedoch wird seit längerem schon gestritten. Auf einer Sitzung im April sah es fast so aus, daß die FAO-Tagung platzen würde. Als Kompromiß einigte man sich, daß der vorgelegte Weltzustandsbericht in Leipzig lediglich als Hintergrundmaterial „zur Kenntnis genommen“ wird. Er sei inhaltlich noch zu unausgewogen, hieß es.

Auch die politisch heiß umkämpfte Frage nach den Kosten der umzusetzenden Schutzmaßnahmen und deren Finanzierung wurde gleichfalls von der Tagesordnung gestrichen.

Ohne Finanzierungsmöglichkeiten für die vor allem von den Ländern des Südens zu tragenden Bürden werden die beschlossenen Maßnahmen jedoch nicht greifen können. Obwohl es für die Pflanzenvielfalt eigentlich schon fünf nach zwölf ist, sollen diese strittigen Punkte erst in den Folgekonferenzen behandelt werden.