Phantom Pferderipper

■ Zwei am Wochenende erstochene Pferde sind Nummer 68 und 69 in einer Serie von Pferdemorden, die 1993 begann. Ob Frauenhasser oder gestörter Homoerotiker - Motiv und Identität des Täters bleiben noch immer ein Rätsel V

Phantom Pferderipper

Der „Pferderipper“ hinterläßt keine Spuren. Der „Pferderipper“ ist ein Phantom. Oder mehrere. Gerade erst hatte er in Mittel- und Südhessen zugeschlagen, dann in Sachsen-Anhalt und am vergangenen Wochenende wieder in Niedersachsen. Die Polizei in diesen Bundesländern ist ratlos. Der Sprecher des Wiesbadener Landeskriminalamtes, Hans Beilstein, ist nicht sonderlich erpicht auf ausufernde Öffentlichkeit, wenn es um den „Pferderipper“ geht. Sie könne nur wieder neue Nachahmungstaten animieren. Daß für die Serie der Pferdetötungen in den letzten drei Jahren – erst in Niedersachsen, dann in Mecklenburg- Vorpommern sowie Sachsen-Anhalt und seit 1995 auch in Hessen – ein Einzeltäter verantwortlich ist, glaubt das Landeskriminalamt ohnehin nicht. Aber auch Beilstein weiß: „Solche Taten setzen Emotionen frei.“

Die große Nachfrage der aufgeregten Öffentlichkeit bedient das LKA mit einer sachlichen Meldung: Insgesamt 39 Fälle seien in Hessen gemeldet worden, „bei denen Pferden Schnitt- bzw. Stichverletzungen beigebracht wurden. Betroffen waren überwiegend Stuten, die in einer Vielzahl von Fällen Schnitt- und Stichverletzungen im Vaginalbereich aufwiesen“. Zwei der Pferde sind an „Verletzungen im Bauchbereich“ verendet. Neun verletzte Pferde gab es in diesem Jahr, „wobei in vier Fällen im Raum Friedberg versucht wurde, den Tieren ein Ohr abzuschneiden“. Wieder starben zwei Tiere. In Norddeutschland summiert sich die Zahl der toten Pferde auf 30.

Die Polizei weiß auch nach drei Jahren fast nichts über den oder die Täter. Er benutzt wahrscheinlich ein Auto, sucht sich meist nachts und am Wochenende einsame und abgelegene Weiden, die aber in der Nähe von Straßen liegen. Manchmal lockt er die Tiere mit Zucker an, schleicht sich in ihr Vertrauen, ehe er mit einem spitzen, lanzenähnlichen Gegenstand oder einem Messer zustößt. Auch eine 1993 in Niedersachsen an einem Tatort gefundene zusammenlegbare Lanze half den Ermittlern nicht auf die Spur. Die jüngsten Taten haben zum Teil ähnliche, zum Teil unterschiedliche Merkmale; einige der Tiere sind erschossen worden, andere vergiftet. Auch das Abschneiden der Ohren ist neu. Meist sind die Opfer Stuten, manchmal aber auch Hengste und Fohlen. Oft ist die Tatzeit eine Vollmondnacht, manchmal aber auch der helle Tag. Nur in kalten Wintermonaten, in denen die Pferde im Stall stehen, konnte Entwarnung gegeben werden.

Spekulationen über die Motive sind in den letzten Jahren immer wieder ins Kraut geschossen. Der zuständige Wiesbadener Oberstaatsanwalt Rothenberger mutmaßte, beim Täter handele es sich um einen „Frauenhasser“. Der ermittelnde Hauptkommissar Wilhelm Fernau von der eingesetzten Sonderkommission war in seiner Einschätzung letzte Woche vorsichtiger. Er wisse nur soviel: Der Täter sei „wahrscheinlich ein Mann“. Da könnten ihm auch die Psychologen recht geben, die das Motiv „Frauenhaß“ verwerfen und eher einen latenten, seine uneingestandenen Begierden abwehrenden Homoerotiker als Pferdeschlächter vermuten (siehe Interview).

Die Polizei hat die Bevölkerung mangels „konkreter Ermittlungsansätze“ um Wachsamkeit und Hinweise auf „verdächtige Wahrnehmungen“ im Bereich von Koppeln oder Pferdeunterständen gebeten. Außerdem soll ein Psychologe versuchen, ein Täterprofil zu erstellen.

Anders als nach der Serie von Pferdemorden 1993 in Niedersachsen hat sich in der mittelhessischen Wetterau, einem beliebten Wohn- und Datschengebiet der FrankfurterInnen, noch keine Panik breitgemacht. Die Bauern und Pferdebesitzer aus dem Norden ließen damals keine Gelegenheit aus, die wüstesten Szenarien anzudrohen, wenn sie „den nur in die Finger kriegen“. Doch laut Pferdebesitzer Thomas Meusert stehen die Pferde in der Wetterau meist im Stall oder auf Koppeln nahe der Häuser; sie sind selten länger unbeaufsichtigt. „Problematischer ist es allerdings in dünn besiedelten Gegenden, wo die Pferde oft tagelang sich selbst überlassen sind“, so Meusert. Auch Freizeitreiterin Marion Schäfer macht sich noch keine großen Sorgen. Sie findet „die seltsame Kontinuität bedrohlich“.

Anzeichen für die Gründung einer „Bürgerwehr“ haben beide noch nicht entdeckt. Gerüchte über deren Bildung kursieren allerdings in den Wiesbadener Reitsport-Clubs. Robert Kuypers ist Geschäftsführer des Hessischen Reit- und Fahrvereins und warnt deren rund 70.000 Mitglieder vor „unnötiger Panik“. Es sei nicht möglich, die rund 42.000 in Hessen registrierten Pferde zu überwachen: „Das ist ein Riesengelände.“ Ein Faltblatt des Verbandes zum Jahresbeginn soll „zum Nachdenklichwerden“ und „öfter mal Schauen“ anregen. Kuypers hat seine eigenen Vorstellungen von den Tätern: „Der muß irgendwie was mit Pferden zu tun gehabt haben. Oder ist vielleicht mit ihnen aufgewachsen.“ Denn der Ripper habe ganz offensichtlich keine Angst vor den stattlichen Tieren. Die Steppen- und Fluchttiere hätten meist auch keine Angst vor dem Täter – und wenn sie in eine Ecke gedrängt und dann sofort mit einem gezielten Stich verletzt werden, „bekommen sie einen Schock. Dann stehen sie wie gelähmt da“.