: Mega-Saurier ohne öffentlichen Raum
Pasteurisierte Moderne: Die alten Metropolen stecken die Blessuren des Fortschritts weg, die neuen Supercities scheitern daran. In Barcelona trafen sich rund 9.000 ArchitektInnen, um über die Zukunft der Städte zu diskutieren ■ Von Rolf Lautenschläger
Für Manuel Vázques Montalbán ist Barcelona unbesiegbar: Weder Napoleon noch Franco konnten die Stadt zerstören und Juan Antonio Samaranch mitsamt seinem olympischen Bauwahn auch nicht. Die königliche Familie und selbst die Bagger hatten keine durchschlagenden Erfolge, auch wenn seit 1992 ganze Häuserblocks in Schutt und Asche liegen und dort Sportarenen, teurer Wohnraum, Bürokästen, Museen sowie simple Freizeitparks hochgezogen wurden. „Barcelona“, läßt Montalbán seinen Romanhelden, den Detektiv Carvalho, ironisch sagen, „wird höchstens etwas pasteurisiert.“ Will sagen, das verwinkelte Raval und die gotische Altstadt, die arg abgefressene Rambla oder der alte Hafen werden saniert, doch die Stadt steckt das, mit Blessuren, letztlich weg.
Sicher, für die Olympischen Spiele und im Zeitalter eines prosperierenden Nacholympismus wurde geschleift, was im Wege stand. Spekulanten und Abrißbagger schlugen Lücken in die Altstadt, wie an der Carrer Sant Pau, Carrer Nou oder nahe der Avinguda Paral-Lel. Am Theater Licéu, einem der ältesten Opernhäuser Europas, klafft derzeit die größte Baugrube der Stadt. Immer noch werden Bewohner aus den Quartieren brutal vertrieben und statt dessen monotone Wohn- und Bürohäuser hochgezogen. Selbst das olympische Dorf, das neugebaut zwischen Altstadt und Meer liegt, gähnt nachts entleert vor sich hin.
Die Parole lautet: „No utopía“
Doch die Collagen aus Alt und Neu haben der katalanischen Kapitale keine traumatischen Wunden zugefügt. Radikalen stadtplanerischen Veränderungen, wie sie durch einen wirtschaftlichen Strukturwandel etwa in nordamerikanischen, westafrikanischen, asiatischen und südostasiatischen Großstädten vorangetrieben werden, hat die sozialistische Stadtverwaltung die Grenzen aufgezeigt.
Die Parole lautet: „No utopía“. Die Planer setzen auf die Erneuerung von Gebäuden und öffentlichen Räumen, den Weiterbau vorhandener Strukturen und Viertel sowie auf eine Entwicklung innerstädtischer und peripherer Brachen. „No experimento urbanismo“ heißt es weiter und bedeutet: Die Stadt soll in ihren traditionellen Strukturen pulsieren. Wenn sich ihr Herzschlag beschleunigt, wie eine symbolische Stadtmaschine auf der zentralen Ausstellung des UIA-Kongresses suggerierte, so bleibt ihr Organismus kräftig genug, künstliche Bauimplantate abzustoßen.
Abgehärtet durch die modernistische Stadtidee „Barcelona Futura“ von 1934, mit riesigen Blocks und Flughäfen auf Hochhäusern oder Francos Satellitenstadtprogramm in den 50er und 60er Jahren, läßt die Urbanisten heute beispielsweise eine riesige „Bandstadt“ aus Blöcken und Hochhäusern neben einer Hochgeschwindigkeitstrasse nach einem Entwurf Norman Fosters (1995) ziemlich kalt. Was Barcelona verändert, aber nicht seiner Identität beraubt hat, liegt eingegraben in den alten Stadtvierteln: Richard Meiers strahlendweißes Museum für zeitgenössische Kunst (1996), das gläserne Kulturzentrum von Albert Viaplana (1994), zwei große Schulbauten in der Carrer St. Pau (1995) mit weiten Klassenzimmern und Foyers oder der gläserne Erweiterungsbau des Palau Fabre nebst lichter Sporthalle (1994/95) in einem Hinterhof an der Ramblas. Urbanität verliert sich so in den dichtbewohnten Gassen der romanisch-gotischen Altstadt unten am Meer ebensowenig wie im regelmäßigen Schachbrettmuster Cerdás, nach dessen Plänen sich Barcelona ab 1856 nach Norden ausdehnte. Im Gegenteil: Vor den Glasflächen der neuen Museen tanzen bis in die Nacht die Kids und nutzen den Spiegeleffekt zur vitalen Selbstdarstellung. Holá.
Zweifellos hätte dem Diskurs über die „Gegenwart und Zukunft der städtischen Architektur“, zu dem die Stadt anläßlich des 19. Weltkongresses der Architekten (UIA) vom 3. bis 7. Juli eingeladen hatte, gutgetan, Barcelona selbst und nicht tausenderlei Science-fiction-Projekte einer wie auch immer gearteten „Architektur 2001“ in den Mittelpunkt zu rücken. Denn das Beispiel der Moll d'Espanya – ein künstlich-theatralischer Vergnügungspark (1994/96) am alten Hafen Barcelonas – von Albert Viaplana und Helio Pinón genügt, um der „Stadt der Zukunft“ ins ebenso gläserne wie gräßliche Gesicht zu blicken.
„Neue große städtische Projekte, Vergnügungs-, Kommerz- und Hochhauszentren oder Masterpläne tragen nicht zur Lösung baulicher und sozialer Probleme bei, sie verändern allenfalls das Antlitz der Stadt und damit die Identität. Wollen wir das?“ fragte etwa der spanische Olympiaplaner Oriol Bohigas gleich zu Beginn des Architekturzirkusses – wohl wissend, was auf die rund 9.000 Teilnehmer zukam.
Denn oben im Palau Sant Jordi, der Olympiahalle von Arata Isozaki auf dem Montjuic, zu dem hinauf es nur die fitten „Congresistas“ schafften, während andere im schwülen Barcelona schlappmachten, wurde über kommende Monster- und Megastädte, „Containerbuildings“ und Super-Airports parliert, daß einem angst und bange werden konnte. Unter dem Primat des Profits, der Mobilität und Funktionalität stehen gerade die großen Städte Mittelamerikas, Südostasiens und Afrikas vor einer radikalen Veränderung. Während im Gürtel der Metropolen die Armutsbehausungen konzeptionslos explodieren, begraben in den Zentren die Banken- und Bürocontainer internationaler Großkonzerne gleich ganze Stadtteile unter megalomanen Architekturinseln.
Intelligente Gebäude, kompakt gebaut
Die neuen Bilder der Supercities gleichen sich: Spektakuläre, technisch hochgezüchtete Hochhäuser stehen neben breiten Verkehrstrassen; Shoppingmalls und Grünflächen wechseln sich ab, der öffentliche Raum – so er noch „öffentlich ist“ – gleicht einer stilisierten Erlebniswelt, die mehr steril als lebendig ist. Da nutzt es wenig, wenn etwa der Londoner Architekt Richard Rogers oder sein Kollege Ben van Berkel „intelligente, energiesparende Gebäude“ errichten wollen, die „kompakt gebaut“ die Idee von Stadt simulieren. Rogers' Entwurf für Shanghais Ringstadt „Lui Jia Zui“, wo ein Hochhauswald einen Park einzingelt, die bunten Kunst- und Medienmetropolen à la „Blade Runner“ von Xa Suziki für Tokio sowie Steven Holls Hochhausstifte für New York oder Renzo Pianos modernistische Airportstadt weit im
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Fortsetzung
Meer vor Osaka kennen keine bergenden Stadträume mehr.
Weil die Zukunftscity keine „Stadt“ mehr ist, mit differenzierten Orten und Nutzungen, experimentieren Architekten – im Bewußtsein des Defizits – mit der Durchmischung in der Vertikalen. „Die ,Vertical City‘“, betonte Ken Young, der in Kuala Lumpur einen „Stadtturm“ baut, „ist die Ansammlung von städtischen Nutzungen und Räumen in der Höhe.“ In seinem Stadtturm versammelt Young Wohn- und Arbeitsetagen, Einkaufs- und Freizeitparks sowie ganze Grün- und Waldstockwerke. Folgerichtig „ist wie in der Stadt das Bürozentrum im Kern des Hauses“, meint Young.
Die Boomtowns Asiens, die wie für den Abschuß in den Weltraum dastehen, haben mit der dortigen traditionellen Bau- und Lebensweise nichts gemein. Widerstand ist angesagt: Charles Correa, berühmter indischer Architekt und Schüler Le Corbusiers, der brasilianische Stadtplaner Nuno Portas und Said Moulin (Marokko) appellierten nicht nur an die historische Verantwortung der Architekten gegenüber gewachsenen Städten, sie plädierten für einen baupolitischen Gegenkurs. „Wenn die Architektur der Investoren und Konzerne in die Dritte Welt einbricht wie eine weitere Kolonialisierung, werden nicht nur die Städte, sondern auch die Bevölkerung ihrer Identität beraubt“, kritisierte Moulin. Der „urbanen Apartheid“, dem Markt und den privaten Syndikaten müsse darum mit einer „Architektur-Resistance“ begegnet werden: Bauen für die Gesamtheit einer Stadt, Sicherung und Gestaltung der öffentlichen Räume, Erhaltung der baulichen und sozialen Mischung sowie die Umnutzung und der Weiterbau bestehender Architekturen. Dies weist einen ökologischen und städtebaulich richtigen Weg. „In der sich wandelnden Stadt verlieren Häuser, Fabriken oder Gewerbebauten ihre Bedeutung, nicht aber ihren Gebrauchswert“, so Dominique Perrault. „Statt abzureißen, müssen wir ihnen neue Bedeutung geben. Baut sie um.“ Immerhin: Gerade die Architekten, die jene utopischen Orte des Schreckens planen, können sich zu Lämmern der Architektur wandeln, gibt man ihnen den sozialen politischen Rahmen als Vorgabe. Dann verflechten sich die scheinbar widersprüchlichen Paradigmen von Stadt und innovativer Architektur zu Einheiten: etwa Norman Fosters gläserne Metrostation in Bilbao, die an Ioeh Peis Louvre-Pyramide erinnert oder Rogers South' Bankprojekt, mit dem die Londoner Innenstadt weitergebaut werden soll. Im Kontext der Stadt bewegen sich auch Toyo Itos kubische Mediathek in Senai (Japan) und auch das Sheraton Hotel von Gramatica und Partner im argentinischen Cordoba. Sie lassen der Stadt Raum, lassen ihr den Anteil Chaos – vielleicht ein wenig „pasteurisiert“, aber die Stadt steckt das weg.
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