Bündnisgrüner opponiert gegen Techno-Spektakel im Grünen

■ Raver tanzen auf der Love Parade durch Berlins Tiergarten für „Frieden“. Bezirksbürgermeister fürchtet Umweltschäden

Berlin(taz) – Die Sache ist längst ein Selbstläufer. Während die Macher der Love Parade mit dem Wetter und organisatorischen Widrigkeiten hadern, packen die Techno-Fans in ganz Europa ihre Klamotten für den Trip nach Berlin. Pierpaolo aus Neapel versucht seiner Mamma zu erklären, wer die Liebesparade eigentlich veranstaltet. Die Szene aus London, Paris, New York ist unterwegs. 1989 tanzten auf dem Ku'damm 150 Leute um einen klapprigen VW- Bus. Morgen rechnet man mit 500.000 Ravern, die auf der Straße des 17. Juni im Berliner Tiergarten für Frieden und Toleranz tanzen.

Die Love Parade ist nicht nur eine Veranstaltung der Superlative in Rhythmus, Watt und Müll. „Die Leute sollen Freude, Energie und eine positive Lebenseinstellung mitbringen“, hofft Peter Lützenkirchen. Der Sprecher des Veranstalters Planetcom liegt damit voll auf der Linie des „Erfinders“ der Love Parade, Diskjockey Dr. Motte. „Noch nie waren so viele Kriege auf der Erde“, so das Credo von Dr. Motte, „da gilt es Zeichen zu setzen für die Liebe.“

Im vorigen Jahr bedurfte dies eines größeren Aufwands. Der damalige Berliner Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) mochte die Parade als Manifestation einer politischen Botschaft nicht anerkennen. Erst als die gequälte Berliner Volksseele erkannte, daß die Parade der Liebe das einzige Ereignis von Weltrang an der Spree ist, kam die Erlaubnis. „Wir demonstrieren auch gegen diese sehr deutsche Mäkeligkeit“, resümiert Lützenkirchen. Ungeachtet der Mäkelei im Detail sprengt die Love Parade als Ereignis jede Vorstellung. Schon die Techno-Philosophie bleibt Otto Normalverbraucher weitgehend verschlossen. Hinzu kommt eine organisatorische Apparatur, die guinnessverdächtig ist. Durch den Tiergarten werden regelrechte Techno- Trucks rollen. Darauf befinden sich Musikanlagen, die gut zur Beschallung von Fußballstadien taugen. 15.000 Watt sollten nicht überschritten werden, so die Bitte der Veranstalter. Man munkelt, daß sich eine 40.000-Watt-Anlage in dem Troß befindet, der im Schrittempo vom Ernst-Reuter-Platz zum Brandenburger Tor zuckeln wird. Damit keiner unter die Räder kommt, sind die 40 Wagen sicherheitsverkleidet. Zu besonderen Sicherheitsvorkehrungen sahen sich die Veranstalter auch auf den Wagen gezwungen. Der einschlägige KitKat-Club werde auf seinem Wagen, so hieß es, das „Make Love“ diesmal nicht ganz so wörtlich nehmen. Sexuelle Handlungen sind untersagt.

Dennoch fühlen sich Spinner und Spanner von der Liebesparade magisch angezogen. „Kaum nacktes Fleisch, wenig Busen“, zeigt sich Stefan Walter vom letzten Mal enttäuscht. Die ganze Freizügigkeit sei eine Medienerfindung. Trotzdem geht er auch diesmal wieder gucken, und er wird vermutlich auch auf einen bärbeißigen Vogelschützer treffen.

Rolf S. hat die Sorgen des Bundes für Umwelt und Naturschutz übernommen: Die Vögel seien durch den Techno-Sound akut gefährdet, befürchtet er. Und tatsächlich will ein Augenzeuge beim letztjährigen Soundcheck im Tiergarten Hunderte seiner gefiederten Freunde von den Bäumen habe fallen sehen.

Den Bezirksbürgermeister von Tiergarten plagen noch andere Sorgen. Jörn Jensen, ein Bündnisgrüner, sah sich von der rot- schwarzen Regierung des Stadtstaates vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Stadtoberen hatten die Love Parade kurzerhand vom Ku'damm auf die Straße des 17. Juni verlegt. Nun befürchtet Jensen Zerstörungen an der grünen Lunge Berlins. Und auch die Kosten für die zu erwartenden Aufräumarbeiten soll der kleine Bezirk alleine tragen. „Die Kosten müssen so aufgeteilt werden, daß nicht alles auf unseren schmächtigen Schultern liegenbleibt“, fordert Jensen daher.

Die Veranstalter selbst glauben, mit 60 Tresen und 24 Toilettenwagen den Bedürfnissen der 500.000 gerecht zu werden. Schon das sei zuvorkommend, meint Peter Lützenkirchen, denn es handle sich schließlich um eine politische Veranstaltung.

So droht eine echte Neuigkeit dem administrativen Kleinkrieg zum Opfer zu fallen: DJ Dr. Motte wollte zum Techno-Volk sprechen. Der Bezirk verschickte einen amtlichem Bescheid und untersagte die Vorbereitungen zur Abschlußkundgebung. Damit wäre der Vater der Love Parade auf seine Sprache zurückgeworfen: die Musik. Christian Füller