: "Nur nichts aufrechnen"
■ Wenn man die russische Seite zur Kooperation in Sachen Beutekunst bewegen will, muß man die Vergangenheit aufarbeiten: Ein Gespräch mit Wolfgang Eichwede
taz : Die Duma hat sich für den Verbleib sogenannter Beutekunst in Moskau entschieden. Jetzt soll der Kanzler helfen, um die festgefahrenen Gespräche über die Rückführung wieder in Gang zu bringen. Was kann Kohl denn tun, was soll er Jelzin sagen?
Wolfgang Eichwede: Es gibt für uns wenig Instrumente, auf die Gesetzgebung und Meinungsbildung im russischen Parlament einzuwirken. Das muß man ganz realistisch sehen. Es ist sinnvoll, daß endlich mit den Abgeordneten des Parlaments gesprochen wird; es ist sinnvoll, weiterhin gegenüber den verschiedenen Ministerien die deutsche Position klarzumachen. Aber letztendlich ist die Frage auf der russischen Seite so hochgeschaukelt worden, daß sie nur im Präsidentenapparat und kaum unterhalb von Jelzin entschieden wird.
Aber auf höchster Ebene wurde bisher in der Beutekunstfrage kaum etwas wirklich bewegt. Gerade das deutsche Auswärtige Amt hat sich als Betonfraktion verstanden und die bedingungslose Rückgabe der Kunstschätze gefordert.
Ich gehe davon aus, wenn heute der deutsche Kanzler den russischen Präsidenten beeindrucken und dafür gewinnen will, daß er sich noch einmal gegen den derzeitigen Prozeß in Rußland stellt – daß Kohl dann nicht nur mit Rechtsargumenten kommen kann. Und dann muß er Jelzin auch sagen: Wenn ihr wieder zu einer kooperativen Lösung in dieser Frage bereit seid, dann sind wir es auch. Das wäre ein Prozeß, der beide Seiten aufeinander zuführt. Eine andere Lösung ist nicht denkbar. Rückblickend muß ich allerdings zustimmen und sagen, daß die deutsche Politik des Beharrens auf dem Rechtsstandpunkt nicht wirklich weitergeholfen hat. Das hat die russische Seite eher zu einer Verhärtung veranlaßt. Ich muß um die andere Seite auch ein Stück weit werben. Das Land Bremen hat Rußland hingegen eine kooperative Lösung für die Bremer Bilder angeboten...
... die bedeuten würde: Im Falle einer Rückgabe könnten die Russen mit Unterstützung rechnen, zum Beispiel beim Wiederaufbau von Museen und anderen beschädigten Kulturdenkmälern; außerdem waren Schenkungen einzelner Kunstwerke im Gespräch.
Die Vereinbarung war, daß die russische Seite den Rückgabeprozeß für die Bremer Bilder einleitet, und Bremen im Gegenzug eine Reihe von Zeichnungen schenkt und gemeinsam mit der Stadt Nowgorod Restaurations- und Wiederaufbauarbeiten in dieser Stadt organisiert. Zum dritten war an eine gemeinsame Ausstellung gedacht, deren Erträge dann an die russische Seite gehen würden.
Was konnten Sie davon konkret umsetzen?
Von Anfang an war klar: Das ist ein Prozeß, der im Reißverschlußverfahren läuft. Aber um es konkret umzusetzen, fehlten bisher die nötigen Zusagen. Das war für Bonn natürlich leider immer ein Argument, um zu sagen: Seht ihr, die Bremer haben das angeboten und kommen auch nicht weiter.
Unterm Strich hat man in Bremen aber auf privaten Wegen eine ganze Menge erreicht. Es ist gelungen, ein halbes Dutzend Bilder aus GUS-Staaten in die Kunsthalle zurückzuholen.
Aber offiziell kamen aus Rußland bisher keine Bilder zurück. Der Durchbruch ist dort nicht gelungen. Die Russen haben uns in Bremen immer wieder gesagt: Für uns ist wichtig, daß auch Bonn auf eine solche Kooperationslinie eingeht. Aber das alles ist heute natürlich Schnee von gestern. Die russische Seite ist mit dem neuen Gesetzentwurf in der Gefahr, vom Denken in kooperativen Schienen in dieser Frage abzugehen. Letztlich ist mir das unverständlich, 51 Jahre nach dem Kriegsende in Kategorien zu denken, die vielleicht 1946, 47 oder 48 nachvollziehbar gewesen wären. Aber jetzt, nachdem wir einen Freundschaftsvertrag haben, ist das aus meiner Sicht nur schwer nachvollziehbar. Nicht zuletzt vergibt sich die russische Seite damit auch eine große Chance. Die Nichtrückgabe der Bilder wird die deutsch-russischen Beziehungen zwar nicht in eine Eiszeit bringen. Aber würde man diese Frage positiv lösen, könnte man hingegen einen Riesensprung nach vorne machen. Dann könnte man gemeinsam darangehen, Geschichte aufzuarbeiten, Kulturdenkmäler gemeinsam aufzubauen; es könnten dafür junge Architekten von uns nach Moskau gehen, wir könnten das finanzieren – es könnte eine wirkliche Aktion geschehen, in der nicht nur materiell geholfen, sondern auch ein Stück Geschichte aufgebaut wird. All das wird durch das russische Parlament im Moment blockiert.
Fast alle Kulturgüter, die im Zweiten Weltkrieg nach Rußland gebracht wurden, gelten nun als russisches Eigentum. Gibt es trotzdem noch Hintertüren im Gesetz, zum Beispiel für die Rückführung von Bildern, die von einzelnen Soldaten ohne Befehl der sowjetischen Trophäenkommission verschleppt wurden? Das beträfe ja auch die 5.000 Grafiken der Bremer Kunsthalle.
Für die privat mitgenommenen, also den Soldaten in die Hände gefallenen Kunstgüter – so, wie das mit den Bremern der Fall war – wird jetzt ein ganz umständliches Verfahren vorgeschlagen, ein Verfahren ohne Beispiel und ohne Vorbild. Angenommen, ein deutsches Museum will seine Bilder zurückhaben: Da muß ein Antrag gestellt werden, der von Regierung an Regierung weitergeleitet wird. Man muß für die Aufbewahrung während der letzten 51 Jahre aufkommen. Und dann muß die Rückgabe durch die russische Seite mit 20 Prozent des Marktwertes vergütet werden. Da es hier im allgemeinen um wertvolle Bilder geht, sind das dann ganz schöne Summen, die sich zusammenkleckern. Und schließlich bedarf es in jedem einzelnen Fall eines konkreten Beschlusses durch das russische Parlament, also der Zustimmung durch die Duma, bis es dann auch tatsächlich zur Übergabe kommt.
Sie haben sich immer für einen Weg des „konstruktiven Pragmatismus“ von deutscher Seite eingesetzt. Was bedeutet das unter veränderten gesetzlichen Umständen?
Es heißt zum einen, daß wir gar nicht anders können, als diesen Duma-Beschluß zu kritisieren und zu sagen: Der Duma-Beschluß ignoriert die Tatsache, daß wir fünf Jahre miteinander verhandelt haben. Zum anderen aber muß unsere Botschaft an die russische Seite sein: Wenn Rußland bereit ist, in dieser Frage wieder zu einer Form der Zusammenarbeit zu kommen, dann ist auch die deutsche Seite bereit. Ich will dabei gar nicht aufrechnen, wer letztlich wem mehr Schaden zugefügt und mehr weggeklaut hat. Aber sicher sind die russischen Verluste durch die Zerstörungen, die die deutschen Truppen angerichtet haben, noch höher als die Verluste durch das Wegtragen von Kunstgütern aus Rußland. Dadurch, daß der Krieg in diesem Land hin- und hergebrandet ist – der deutsche Angriff, der russische Befreiungsschlag –, hat es die russische Seite unendlich viele Kulturgüter gekostet, die wurden eben einfach niedergeschossen und niedergebrannt. Die deutsche Seite ging aus diesem Land weg im Sinne der „verbrannten Erde“. Also muß man sehen: Die deutsche Seite möchte die Kunstwerke wiederhaben; die russische Seite hat immer noch erhebliche Verwüstungen in ihrem Land. Daher muß man versuchen, auf allen Ebenen und im Sinne einer Kooperation zusammenzukommen, sowohl auf der höchsten Ebene wie auch in den Kommissionen und privaten Verhandlungen. Trotz alledem muß ich sagen: Vier Tage nach dem Duma-Beschluß komme ich mir manchmal etwas komisch vor, wenn ich trotzdem noch für eine Lösung des gegenseitigen Nutzens werbe. Ich sehe aber dazu derzeit keine Alternative. Wir können und wir wollen die russische Seite nicht zwingen – also müssen wir sie überzeugen. Interview: Thomas Wolff
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