■ Die Deutschen sind nur scheinbar gegen Öko-Verzicht
: Richtige Zahlen, falsche Deutung

Das Umweltbundesamt stellt eine Repräsentativumfrage vor, nach der 64 % der West- und 67 % der Ostdeutschen glauben, daß wir kollektiv auf eine Katastrophe zusteuern, wenn wir so weitermachen wie bisher. Höhere Preise für umweltfreundliche Produkte werden aber nur von einer Minderheit von 37 % (West) und 27 % Ost akzeptiert, höhere Steuern lediglich von 21 % beziehungsweise 13 %. Diese Ergebnisse nun flugs gegen Ökosteuern und eine generelle Wende in der Umweltpoltik zu benutzen, ist naheliegend – und absurd. Erwartet jemand im Ernst, daß sich in Zeiten von Sparmaßnahmen und Nullrunden die überwältigende Mehrheit freudig bereit erklärt, ihren Gürtel noch enger zu schnallen?

Die Bundesbürger stöhnen unter der Umverteilungspolitik der Bundesregierung. Wer wenig oder nichts mehr abzugeben hat, wird dies natürlich auch in einer Umfrage deutlich sagen. Doch das ist kein Argument gegen Ökosteuern, eher ein Grund, Umwelt- und Sozialpolitik zu verknüpfen. Zudem: Jede Mark weniger im Portemonnaie fehlt schmerzlich. Ein möglicher Gewinn durch Ökosteuern oder höhere Müllgebühren bleibt jedoch in der Vorstellung des Bürgers reichlich vage und abstrakt. Der Verlust hingegen ist sofort persönlich spürbar. Der Gewinn von Ökosteuern muß erst noch erfahren werden. Und schließlich: Wer sagt eigentlich, daß Bundesbürger nicht über umweltbedingte Belastungen stöhnen dürfen, sie aber dann doch nolens volens akzeptieren würden? Stellen wir uns vor, wir würden dieselbe Repräsentativumfrage über die Notwendigkeit eines Zahnarztbesuches machen. Die große Mehrheit würde ihrer Sorge um gesunde Zähne Ausdruck verleihen, wäre für gute Zahnmedizin und regelmäßige Besuche beim Zahnarzt. Wetten, daß sich zugleich eine überwältigende Mehrheit vehement gegen den Bohrer ausspräche? Und doch hingeht und den Bohrer akzeptiert? Umfragen haben ihre Grenzen. Und sie haben eine Rolle in der politischen Diskussion. Aus den vorliegenden Ergebnissen nun mit Krokodilstränen die Rechtfertigung für ausgemerkelte Umweltpolitik ableiten zu wollen, weil sie vom Bürger nicht gewollt ist, ist unseriös. Aber mit Sicherheit zu erwarten. Micha Hilgers

Micha Hilgers ist Psychoanalytiker in Aachen