Vor uns die Sintflut

Am Oberrhein fehlen Rückhaltebecken für 200 Millionen Kubikmeter Wasser. Beschlossener Hochwasserschutz bis heute kaum umgesetzt  ■ Von Michael Obert

Im Oberrheintal sind Vermögenswerte von insgesamt 121 Milliarden Mark durch Hochwasser gefährdet. Das weist eine Studie nach, die von den Ländern Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz sowie der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes in Auftrag gegeben wurde.

Schuld daran ist die fehlende Umsetzung eines Vertrags zwischen Frankreich und Deutschland. 1982 hatten sich die Regierungen verpflichtet, Rückhaltebecken für 226 Millionen Kubikmeter Wasser zu bauen. Später wurde das Volumen sogar auf 288 Millionen heraufgesetzt. Bis Mitte der 90er Jahre sollten sie fertiggestellt sein. Nach Auskunft der Internationalen Kommission zum Schutze des Rheins können bisher jedoch nur 80 Millionen Kubikmeter Wasser in Auffangbecken abfließen.

Wie sich bei den „Jahrhunderthochwassern“ zu Weihnachten 1993 und Anfang 1995 gezeigt hat, ist die Oberrheinniederung zwischen Iffezheim und Bingen besonders bedroht. Im schlimmsten Fall könnte ein Hochwasser in dieser Region 1.000 Quadratkilometer überfluten, so die Studie. Flußbegradigungen, Dämme, der Rheinseitenkanal und mehrere Staustufen haben den natürlichen Hochwasserschutz vermindert. Vor allem der Staustufenbau unterhalb von Iffezheim in Baden- Württemberg zwischen 1955 und 1977 hat die Überschwemmungsgefahr massiv erhöht. Im Zusammenspiel mit den Folgen großflächiger Landschaftsversiegelung und Landgewinnung für Äcker und Industrie hat das dazu geführt, daß der Rhein heute bei schwerem Hochwasser in den Spitzen 10 bis 15 Prozent mehr Wasser führt als Mitte des Jahrhunderts.

Im Dezember 1982 verpflichteten sich Deutschland und Frankreich, unterhalb der Staustufe Iffezheim den Hochwasserschutz so effektiv zu gestalten, wie er vor der Errichtung des Wehrs war. In Deutschland sollte das Bundesverkehrsministerium die Umsetzung durch die Länder koordinieren – schließlich hatte es die Gefahr durch den Ausbau für die Schiffahrt zu verantworten.

Der zuständige Gebietsreferent Heinz-Josef Joeres geht heute jedoch davon aus, daß die fehlenden 200 Millionen Kubikmeter nicht vor 2005 fertig werden. Die Verzögerungen seien in erster Linie auf die Widerstände der Betroffenen zurückzuführen, argumentiert er. GrundstückseigentümerInnen, Behörden und Kommunen sträubten sich hartnäckig gegen den Flächenverlust. Auf einen Finanzierungsengpaß bei den Projekten führt Joeres die Verzögerungen nicht zurück. Von den zwischen 1985 und 1995 bereitgestellten Bundesmitteln für Rückhaltebecken in Höhe von 210 Millionen Mark seien nur 140 Millionen von den Ländern abgerufen worden. 1995 wurden mehr als 30 Prozent des Geldes nicht in Anspruch genommen.

Projekte, die nicht unter den deutsch-französischen Vertrag fallen, haben allerdings kein Anrecht auf Bundesmittel aus diesem Topf. Die Ausgaben für Rückhaltebecken bringen den Ländern zudem oft keinen eigenen Nutzen, sondern kommen den sogenannten „Unterliegern“, also den Bewohnern von flußabwärts gelegenen Regionen, zugute.

Zu welchen Problemen das führen kann, zeigt ein Beispiel aus Hessen. Ein geplanter Polder bei Trebur, südlich von Mainz, hätte nach Ansicht von Fachleuten als größtes Rückhaltebecken seiner Art am Rhein das Hochwasserrisiko in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen erheblich verringern können. Aus Kostengründen hat die hessische Landesregierung das über 200 Millionen Mark teure Projekt jedoch vorerst auf Eis gelegt. Nur Rheinland-Pfalz sei bei der Kostenbeteiligung gesprächsbereit gewesen, so das hessische Umweltministerium. Der Bund und Nordrhein-Westfalen wollten sich hingegen finanziell nicht beteiligen.

Die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn bezeichnet die hessische Entscheidung als unsolidarisch gegenüber den anderen Rheinanliegern. Nordrhein-Westfalen bezahle für die Bereitstellung von Rückhaltebecken rund 400 Millionen Mark und habe von den dadurch begünstigten Niederländern auch kein Geld verlangt. Das Bundesumweltministerium zieht sich ebenfalls auf das Verursacherprinzip zurück und hat die Mitfinanzierung des Polders abgelehnt.

Die vom Hochwasser Bedrohten werden den Schaden haben. „Ein Bewohner der Kölner Altstadt wird heute keine Versicherung mehr finden, die die zu erwartenden Schäden abdeckt“, sagt Thomas Loster von der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft. Die Prämien müßten weit höher liegen als die Reparaturkosten nach einem Hochwasserschaden. Versicherungen fordern deshalb seit langem, potentielle Überschwemmungsgebiete nicht weiter zu bebauen.