Der Barbier von Bebra (11)

■ Von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel

Was bisher geschah: Kommissarin Güzel ermittelt gegen den Bartmörder, Detektiv Pfeiffer ermittelt gegen Frau Güzel.

Reiner Pfeiffer lachte das Herz im Leibe. „Die Nummer mit dem Einbruch habe ich natürlich nur erfunden, um den Preis in die Höhe zu treiben. Alter Schnüfflertrick. Wozu auch die Mühe?“ Er rieb sich die Hände. „Ich weiß doch, daß ich mich immer auf dich und dein Archiv verlassen kann!“

„Archiv nennst du das?“ Dr. Diether Dehm fühlte sich in seiner Berufsehre verletzt. „Das ist die größte Blackmailbox der Welt. Mit dem, was hier rumliegt, hätten wir sogar Stalingrad gehalten!“ Er gurgelte mit roter Brause und strich Katarina Witt, die sich an seine maskulinen Knie geschmiegt hatte, übers Haar. „Liebes, sei eine Eisprinzessin und hol uns das Dossier über diese Gisela Güzel. Es müßte so im elften, zwölften Basement liegen.“

Willig gurrend glitt die attraktive Gespielin des betuchten Bonvivants auf ihren Rollerblades zum Lastenaufzug.

„Eigentlich schade, daß ich aus dem Alter raus bin“, sagte Pfeiffer und wandte den Blick erneut seinem Komplizen zu. „Die Sache mit Ute Lemper hast du übrigens sauber eingefädelt.“

Dehm winkte ab. „Dieses Schubladendenken ermüdet mich. Ich fühle mich so schlappschlappschlapp! Frag mich doch lieber mal nach Guillaume. Ich könnte dir da Dinger erzählen...“

„Das hast du mir doch schon tausendmal aufgetischt, wie du angeblich Willy Brandt gestürzt hast“, nölte Pfeiffer. „Und außerdem haben wir das Ding damals zusammen gedreht.“

Damit war den Männern der Gesprächsstoff ausgegangen. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen. So versanken sie in Gedanken, von deren Flachheit sich selbst Ulrich Wickert persönlich noch eine dicke Scheibe hätte abschneiden können. Aus den Boxen plätscherte ein Kuschelpotpourri aus Für Elise, bots und Pur.

Und natürlich Lerryn.

„Das ist alles, was ich gefunden habe“, rief Katarina Witt. Sie schwenkte eine Kladde und sah dabei so aus wie Maren Gilzer, wenn sie Buchstaben umdreht. „Ist euch eine Laus über die Leber gelaufen?“

Pfeiffers Augen lurchten.

„Na, nimm schon, ist für lau“, erklärte Dehm, stand auf und tätschelte Pfeiffers Wange. „Tschüssing, Reiner. Ich muß noch an meinem Musical feilen. Und morgen früh geht's ab nach Barbados. Golfen, darten und die Seele baumeln lassen. Die Stasi ist mein Neckermann!“

Und Reiner Pfeiffer kroch davon, die Kladde im Gewand. Wer starb schon gerne unter Palmen?

*

Greiz, ein Rostbrätlstädtchen in Thüringen, erlebte ein kulturelles Spitzenereignis, als der Dichter Lutz Rathenow in den Gewölben einer unterirdischen Bierstube eine Lesung abhielt, die im Rahmen einer Lyrik-und- Jazz-Präsentation unter dem Titel „Lichtschrei“ zelebriert wurde.

Es war zum Davonlaufen.

Das hatten sich die Stadtväter nicht träumen lassen, als sie den Tag und Nacht von Schwertransportern durchpflügten Verkehrsknotenpunkt Greiz mit einer grimmig aufspringenden, zwölfspurigen Brücke ausgestattet hatten, um die Welt einzuladen und sie in Greiz zu beheimaten. Was kam, war nicht die Welt, sondern Lutz.

Sieben Zuhörer waren erschienen, um ihm zu huldigen. Aufgepeppt wurde das Programm durch einen Artisten, der zwischen den von Lutz verlesenen Gedichten eine Mundorgel bediente.

Helfer mit ägyptisch anmutenden, unten ausgefransten Stangenbärten applaudierten nach den Mundorgeleinlagen jedesmal matt; dann setzte Lutz die Lesung fort. „Ein Hauch von Welt ist eine Brise aller Probleme“, verkündete er, hielt inne, strich sich über den Bart, atmete tief ein und sagte: „Ich bin dir fremd / Fremd bin ich mir.“

Fortsetzung folgt

Vorabdruck, erscheint bei Edition Nautilus