Grüne Inseln, träge treibend in der Havel

■ Serie: „Staub abschütteln. Tips für Stadtflüchtige“. Heute: Mit der weißen Flotte nach Brandenburg. Erst mit Historie getränkt, erhält das flache Land Kontur

Staub von der Seele schütteln. Durchatmen. Stundenlang ins vorbeiziehende Wasser starren. Das geht nirgends so gut wie bei einem Ausflug mit dem Schiff. Nichtstun obligatorisch. Vier Stunden lang auf der MS „Paretz“ von Potsdam nach Brandenburg.

„Hast du dir auch den Nacken gut eingerieben, Mutti?“ fragt Hans, als sich die beiden auf die schmalen Bänke im Bug des Dampfers geschoben haben. Natürlich hat sie, die nun zurückmuttert. „Nimm dir dat Tuch aus'm Rucksack, Vatti, du verträgst doch keinen Zug.“ Dem Tonfall nach haben die beiden den Gefahren der Seefahrt bisher am Rhein getrotzt. Die zerfledderte Gewässerkarte der grauen Panther neben ihnen verrät dagegen alteingesessene Brandenburger.

Links und rechts grün

Kaum hat das Schiff vor der Langen Brücke in Potsdam abgelegt, kramen die Familienoberhäupter ihre Karten hervor. Jeder Biegung der gewundenen Havel folgend, bekräftigen sie die Ortsangaben des Kapitäns, der hier Schiffsführer heißt. Der skizziert knapp den Weg als Tour durch die brandenburgische Geschichte. Links sehen wir, rechts sehen wir, eigentlich immer nur dichte grüne Ufer, Bootsstege, einen Reiher. Erst mit Historie getränkt, erhält das flache Land Kontur.

Wir passieren den Engpaß des Caputher Gemündes, über den eine alte Fähre führt. Bis hierher segelte Anfang des 18. Jahrhunderts König Friedrich I. mit einem „vergoldeten“ Luxusschiff, seine Ankunft am Schluß Caputh mit Kanonensalven verkündend. Solch feudaler Verschwendungssucht folgte in den Havelreiseführern der DDR stets die mahnende Erinnerung an das schwere Leben der Schiffer, die im 19. Jahrhundert Berlin mit Nahrungsmitteln und Baustoffen versorgten. Auf den Werften von Caputh entstanden die 40 Meter langen Zillen, die Ziegelsteine von den Tongruben und Brennereien in Glindow und Phöben havelaufwärts nach Berlin brachten. Heute schleppen Schubkähne den Bauschutt vom Potsdamer Platz auf eine Deponie am Treffelsee. Da war schon zu DDR- Zeiten eine Müllkippe für West- Berlin, denn „das brachte Devisen“. Auf diesen Transportweg stoßen wir später an der Mündung des Sacrow-Paretzer-Kanals. Bis dahin gehört die „Potsdamer Havel“ den Freizeitkapitänen. Denn seit der Kanal, der den Weg von Spandau nach Brandenburg um 14 Kilometer verkürzt, 1875 fertig wurde, reisen um die Südspitze der Insel Potsdam nur die Ausflügler.

„Linker Hand liegt jetzt die Obststadt Werder, die einst die ganze DDR mit Obst versorgte“, hören wir, und Hans brüllt los: „Werder, Mutti, Werder!“ – „Ach, das ist Werder?“ – „Ja, Werder, herrlich, was?“ Die Sprache selbst dampft in der Sonne ein.

Zur Abwechslung besuche ich den Schiffsführer in seiner Steuerkabine. Die samstägliche Tour nach Brandenburg macht er am liebsten. Auf dem Wannsee scheinen die Jachtbesitzer ja zu glauben, sie hätten den See gepachtet, und schießen ihm quer vor den Bug. Auf der Havel dagegen kann er den Dampfer mit den Füßen steuern, so ruhig ist es. Ihren verschlafenen Reiz droht die Strecke allerdings mit der geplanten Ausbaggerung der Fahrrinne zu verlieren. „Aber wir dürfen nicht mal einen Anleger am Schloßpark Babelsberg bauen“, stöhnt der Maat, „weil dann fünf Schilfhalme umzuknicken drohen.“ Dabei läuft außer Tourismus nicht viel in Potsdam. Wenn dann ein Sommer so ins Wasser fällt wie dieses Jahr, bangt die Weiße Flotte Potsdam um jeden Fahrgast.

Blaugrüner Flickenteppich

Die haben derweil ihre Karten sinken lassen. Die Landschaft löst sich auf in einen blaugrünen Flickenteppich, Wasser schillert wieder hinter schmalen Baumreihen. Keiner zählt mehr die Inselchen mit, die die Fahrrinne der Havel von stillen Röhrichtbuchten trennen. „Na, gibt's schon Mittag?“ erkundigt man sich hoffnungsvoll auf dem Oberdeck, als um 12 Uhr das Klappern der Suppenteller heraufdringt. Kauend wird die Zeit vertilgt.

Langsam tauchen die ersten Backsteintürme Brandenburgs über den Baumwipfeln auf. Wir legen am mittelalterlichen Mühlentorturm zwischen Neustadt und Dominsel an. Früher fuhr die Weiße Flotte bis in den Industriehafen der Stadt, die stolz auf ihren Status als größter Stahllieferant der DDR war. Heute bildet die Geschichte das größte Kapital der Stadt, die wie stillgelegt im Strom der Zeiten schwimmt. Der Erhalt der historischen Zeugnisse droht mehr Mittel zu verschlingen, als die Gegenwart aufbringen kann.

Grüppchen der Passagiere treffen sich wieder an der Katharinenkirche, die mit ihren filigranen Giebeln aus glasierten Ziegeln als eine der schönsten Kirchen der Backsteingotik gilt. Ein anderer Teil pilgert zum Dom. Dann hat sich die Schiffsladung von 150 Touristen schon verloren zwischen Kanälen und Wallanlagen. Wer mehr von den Kirchen, von Speicherhäusern und Mühlen sehen will, als sich in zwei Stunden Aufenthalt bis zur Rückfahrt der Paretz erkunden läßt, kann zurück den Zug nehmen. Katrin Bettina Müller

Tagesfahrt nach Brandenburg, nur samstags bis 31. 8. Ab Potsdam, Lange Brücke, 9.30 Uhr, an Brandenburg 13.30 Uhr; zurück 15.30 bis 19.30 Uhr. Hin und zurück 30 Mark. Infos: 0331/291527.