Neue Indizien gegen die Mullahs

Der ehemalige Staatschef des Iran ist im „Mykonos“-Prozeß geladen. Er beschuldigt den jetzigen Staatspräsidenten und Ajatollah Chamenei, den Mordauftrag erteilt zu haben  ■ Aus Berlin Dieter Rulff

Lange rätselte die Generalbundesanwaltschaft, wer „Sharif“ ist. Unter diesem Namen firmierte in ihren Ermittlungsakten einer der beiden Attentäter, die am 17. September 1992 im Berliner Lokal „Mykonos“ vier iranisch-kurdische Oppositionelle ermordeten. Während der andere mutmaßliche Schütze Abbas Rahyel gefaßt wurde und zusammen mit vier weiteren Angeklagten seit Sommer 1993 vor Gericht steht, gelang es „Sharif“, zu flüchten.

Mittlerweile lebt er nicht nur unbehelligt im Iran, sondern ist dort gar zu Amt und Würden gekommen. Er ist Bürgermeister der Stadt Islamschar. Davon geht zumindest die Vertretung der Nebenklage im „Mykonos“-Verfahren aus. Der volle Name von „Sharif“ soll Seyed Abdolscharif Banihaschemi lauten. Er war womöglich nicht nur Tatbeteiligter. Die iranische Exilzeitung Engelab Eslami (Islamische Revolution) berichtet in ihrer Juliausgabe, Seyed Abdolscharif Banihaschemi habe das Team geleitet, das nach Berlin kam, um den „Mykonos“-Anschlag auszuführen. Herausgeber der Zeitung ist Abdolhassan Banisadr. Nach der islamischen Revolution war er iranischer Staatspräsident, mittlerweile lebt er im französischen Exil.

Das Gericht verkündete gestern auf Antrag der Nebenklage den Beschluß, ihn als Zeugen zu hören. Die Nebenklage geht davon aus, daß er „aus zuverlässiger Quelle“ weiß, daß Banihaschemi „Mitglied“ des iranischen Geheimdienstes Vevak und „enger Vertrauter“ von Geheimdienstminister Fallahian ist. Gegen Fallahian wurde im März wegen des „Mykonos“-Attentats Haftbefehl erlassen. Als mutmaßlicher Mitarbeiter seines Ministeriums und Drahtzieher des Attentats steht der Iraner Kasem Darabi vor Gericht.

Am kommenden Donnerstag wird Banisadr vor Gericht erscheinen. Bereits im Juni hatte er vor der Generalbundesanwaltschaft ausgesagt und dabei Fallahian schwer belastet. Über seine Informationsstränge in den Geheimdienst Vevak habe er etwa drei Monate vor dem Anschlag die Mitteilung erhalten, „das Vorhaben zur Liquidierung der Nachfolge Ghassemlou ist zur Durchführung freigegeben“. Ghassemlou, der ebenfalls einem Attentat zum Opfer fiel, war der Vorgänger des im „Mykonos“ erschossenen Kurdenführers Scharafkandi.

Banisadr beschuldigt nicht nur Fallahian, sondern belastet auch Staatspräsident Rafsandschani und den religiösen Führer des Iran Chamenei. In einem Gespräch mit der taz erläuterte er, wie terroristische Operationen organisiert werden: „Es gibt ein Komitee im Firuse-Palast. Mitglieder dieses Komitees sind eine Person aus dem Büro Rafsandschani, eine aus dem Büro Chamenei, eine aus der Gruppe der Revolutionswächter und eine aus der Vevak.“ Dieses Komitee bereite das Konzept vor. Dann werde der Plan Chamenei und Rafsandschani vorgelegt. Erst „wenn diese beiden ihn akzeptieren, wird der Plan zur Durchführung freigegeben“. Dies sei „auch bei ,Mykonos‘ der Fall“.

Mit Banisadrs Ausführungen erhärten sich die Beweise für eine Verstrickung der iranischen Regierung in das „Mykonos“-Attentat. Seine Aussagen werden durch Erklärungen anderer Zeugen bestätigt.

Irans Führung ist dies offensichtlich unangenehm. Bereits vorab widmete sich ihr Botschafter in Deutschland „den Schwächen dieser Aussage“. Wie will Banisadr, so fragt sich Diplomat Hossein Mussavian, 14 Jahre nach seinem Sturz noch beste Beziehungen in den Iran haben, „die besser sind als die aller Geheimdienste, die an diesem Fall interessiert sind“? Auf die Antwort wird er lange warten.