Kommentar
: Reaktion: Ausgrenzung

■ Antworten aus der PDS auf Bries Provokation

Der Begriff „Stalinismus“ taugt nicht viel, der des „Poststalinismus“ noch weniger. Aber nachdem den Demokraten innerhalb der PDS nichts anderes eingefallen ist, als mit eben diesen Begriffen eine gegen Emanzipation und Modernität gerichtete, antiaufklärerische Wirklichkeit zu beschreiben, eben die der SED-Herrschaft, müssen sie halt als Kampfbegriffe herhalten. Mit ihrer Hilfe kann es nur ungenau gelingen, auszumachen, worum es bei der Auseinandersetzung zwischen Bewahrern und Erneuerern in den Reihen der PDS eigentlich geht: um die Abrechnung mit einer gescheiterten Lebensweise, um den Bruch mit einer individuellen wie kollektiven Identität.

Schon immer widerstritt die marxistische Einsicht, nach der sich alles auf der Welt (also auch die eigene Partei) nur in Widersprüchen vorwärtsbewegt, dem Bedürfnis vieler Revolutionäre, ein festes ideologisches Dach überm Kopf zu haben, einig zu sein gegenüber dem gemeinsamen Feind. Das doppelte Gebot der Einheit und der Ab- bzw. Ausgrenzung bestimmte den politischen Habitus der Dritten Internationale, mithin auch den der KPD. Entweder man gehörte mit Haut und Haaren dazu, oder man stand auf der anderen Seite der Barrikade.

Diese Militantenpsychologie verschwisterte sich nach 1945 mit spezifisch deutschen Ingredienzen – mit dem Bedürfnis nach Harmonie, der Unfähigkeit zum lustvollen Streit, dem Freund-Feind-Muster und dessen tödlichen Konsequenzen.

Seinen jüngsten Vorstoß hat André Brie nicht unternommen, um den Genossen ein Bekenntnis zum Regelwerk der deutschen Verfassung abzuringen. Er will, daß sie mit einer Mentalität brechen, die die demokratische Debatte verhindert. Jüngste Stellungnahmen seiner Gegner („Steilvorlage für den Verfassungsschutz“, „widerlich“, „falscher Ort und falsche Zeit“) wirken wie bestellte Reaktionen, die die Richtigkeit von Bries Forderungen bestätigen.

In Frage steht für Brie nicht die „Sozialdemokratisierung“ der PDS, denn woraus sollte die Substanz einer solchen Umwandlung bestehen? In Frage steht, ob es gelingen kann, der Partei nachträglich ein Fundament einzuziehen, das sie zum „Politikmachen“ überhaupt erst befähigt. Das wird, wenn überhaupt, nur mittels erbitterten Streits möglich sein. Christian Semler