■ Auschecken kannst du jederzeit, aber raus kommst du nie: Heute startet die Fußballbundesliga in ihre 34. Saison
: Nix viel Fußball, außer auf'm Platz

So müßte Leben sein: Alles fängt wieder von vorne an. 0:0. Jedesmal.

Hoppla: So ist es.

Der schönste Augenblick ist aber jener, in dem der Ball noch im Mittelpunkt des Spielfeldes liegt, einen Augenblick bevor die Spieler sich bewegen und bevor der Ball von den Spielern bewegt wird.

Das hat Gerd Müller schön gesagt. Oder Handke.

Heute abend startet die Bundesliga, doch schon am Montag eilte man wie von einem Zwang gezerrt ins Berliner Olympiastadion. Wozu? Theoretisch hätte man gut und gerne ins Theater gehen können – oder gleich zu Ikea. Wozu? Es wurde ja Fußball gespielt. Das ist das Geheimnis des Fußballs: Man braucht nichts anderes zu tun. Man fühlt sich ausgelastet dabei.

Es ist immer besonders peinlich, wenn Fußballer genötigt werden, die Geburt ihrer Kinder über das Erlebnis der Teilnahme an einem Pokalspiel der zweiten Runde zu stellen. Natürlich fühlt sich der Fußball besser an. Muß er ja. Schließlich hat man an wenig so fleißig und ausdauernd gearbeitet wie an den Gefühlen, die man in den Fußball investiert. Aber: Wie man so im Olympiastadion Bayern München zusah, hörte man neben sich plötzlich den versonnenen Satz: „Fast könnte man manche von denen ganz nett finden.“ Oder hatte man ihn selbst gesprochen? Auch nur gedacht? Nett! Die Bayern! Thomas Helmer zum Beispiel ... So weit ist es gekommen! Und wer ist daran schuld?

Bild und das Fernsehen, die das 130-Millionen-Mark-Umsatz-Unternehmen zur nationalen Sache erklärt haben! Dieser „Inszenierungsdrang“ (Marcel Reif) der Fernsehjournalisten! Während ich dies wütend denke, summe ich eine kleine Weise von Peter Maffay („Samstag abend in unserer Straße“) und studiere ein Rezept von „Naddel“ („Ente chinesisch“). Weiter bemerke ich, daß es Aspekte an Pamela Anderson gibt, die durchaus jetzt zu weit führen.

Reden wir dennoch vom Fernsehen. Sat.1 hat sein Samstags- „ran“ auf zwei Stunden verlängert. Die Zeit, sagt Reinhold Beckmann, werde genutzt für„hauptsächlich ausführlichere Berichterstattung“.

Ha! „Beckmann, du lügst“ – das hat ja schon Wolfgang Borchert gewußt. Aber der hatte auch einen ausgeprägt moralischen Ansatz. Es ist eine Frage der Semantik: „Berichterstattung“ meint: Es ist die Frage zu klären, ob Möller der Doofere ist – oder aber doch Basler. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Tiedje nach Boxen und Bohlen auch Basler mal etwas professioneller lanciert. Es wäre schön, wenn dieser Satz wahr wäre: Mit Fußball hat das nichts zu tun.

Die Distanz aber zwischen denen, die den Kosmos Bundesliga inszenieren, und jenen, die sich inszenieren lassen, ist so verschwindend gering, daß sie auch die beste Superzeitlupe oft nicht mehr wahrzunehmen vermag. Bewegt wird der Kosmos von all denen, die eine sehr diffuse Gestalt namens Franz Beckenbauer bewegen. Jener ist das „Symbol des Kapitalismus im Zeitalter der Refeudalisierung“. Zumindest hat ihn Walter Jens einmal so genannt.

Dessen Wort hat allerdings recht geringes Gewicht, da er bekanntlich ein miserabler Torwart war. Es ist aber so, daß in diesem Kosmos selbst der klügste Ex- Oberstudienrat kaum mehr als Eigentore der Entrechteten schießen kann.

Trotzdem macht er mit. Und wir auch. Flucht? Fußball ist der Strang zur Kindheit. Auschecken kannst du jederzeit, aber raus könntest du auch nicht, wenn es tausend Beckmanns gäbe.

Es gibt aber einen Weg zur Wahrheit. Er führt direkt auf den Platz. Mir sind Menschen bekannt, die überzeugt sind, rechtmäßige Freunde des Fußballs zu sein. Nie kämen sie auf die Idee, ins Stadion zu gehen. Was es braucht, ist eine Differenzierung. Fußball ist nicht Fußball. Will man Fußball erleben, muß man seinen verdammten Arsch hochkriegen und hingehen.

Will man Fußball nicht erleben, schaut man Fernsehfußball. Es wäre womöglich ein bißchen ungerecht, zu sagen, Fernsehfußball und Fußball hätten nichts miteinander zu tun. Sagen darf man: Der Anteil des Fußballs am Fernsehfußball, wie wir ihn kennengelernt haben, ist oft bescheiden.

Für Fernsehfußball gilt, was Petar Radenkovic über Handkes vermeintlichen Tormannversuch sagte: „Nix viel Fußball.“ Ganz viel Trash. „Trash is neat“ (Bryan Ferry): Nichts ist niedlich. Es wäre schön, wenn dieser Satz wahr wäre: Fußball ist besser als Trash.

Allerdings ist gerade auch – oooooh! – Netzer schließlich unter anderem auch deshalb nie gestorben, weil seine Freundin schon damals wußte, daß alles eine Frage der Inszenierung ist. Deshalb ist übrigens auch ihr Name lebendig geblieben: Girrulat.

Was wird das hier? I come to bury football, not to praise it? Reden wir mal davon, was schön ist, wenn wieder Bundesliga ist. Rehhagel ist ziemlich weg. Borowka ist weg. Stepanovic, Hölzenbein und Ralf Weber sind weg. Falls nicht irgendwer richtig die Nerven verliert, ist Ribbeck ganz weg. Andererseits kommt davon Schuster auch nicht mehr zurück.

Schade, denn Schuster ist älter als ich. Die anderen Spieler werden immer jünger. Einst hatte ich berechnet, bei den WMs 1982, '86, '90 und '94 zu gewinnen und Rekordnationalspieler zu werden. Angenommen, Fußball wäre Hamster, dann würde ich davon erzählen können, daß 1888 in Aschersleben 97.518 Hamster getötet wurden. Ich würde die Floskel „wie jeder weiß“ voranstellen. Wenn Fußball Hamster wäre, würde das dann auch jeder wissen.

Es begab sich im Münchner Olympiastadion, daß der Ball geflogen kam. Und man in Bruchteilen von Sekunden zu ahnen begann, daß er eine geheime Absprache hatte mit jenem Spieler, dessen Fuß nun ausholte. Als er unter großem Gedonner unter die Latte rauschte, war ein kollektives Stöhnen längst in ungläubiges Brüllen übergegangen. Auch ich schrie auf. „Abschluß und Einschlag im gleichen Moment. Das wollen die Leute sehen.“ Das hat Lothar Emmerich einst gesagt.

Der Mann aber, der jenes Tor schoß, war der wunderbare Lothar Matthäus. Danach ging das Spiel mit einem Anstoß weiter, als sei nichts passiert. Peter Unfried