■ Heute eröffnet in Köln die Popkomm. Ein Teil der deutschen Rockmusiker fordert wieder eine Quote: Vierzig Prozent deutsche Titel auf allen Kanälen, nicht nur beim Teeniesender Viva
: Deutsch ist mein ganzes Herz

Heute eröffnet in Köln die Popkomm. Ein Teil der deutschen Rockmusiker fordert wieder eine Quote: Vierzig Prozent deutsche Titel auf allen Kanälen, nicht nur beim Teeniesender Viva

Deutsch ist mein ganzes Herz

Wenn Rudolf Scharping auf dem Teeniesender Viva ständig seinen Lieblingsmusiker Grönemeyer sehen darf – wozu brauchen wir dann eigentlich eine Quote für deutschsprachige Rockmusik? Rauscht da nicht vielmehr der Musikexpreß gnadenlos an uns vorbei? Fragen, die die Organisatoren der diesjährigen Kölner Messe Popkomm in ein nach allen Seiten offenes Motto gegossen haben: „Wie deutsch kann Pop sein?“

Wenn es nach Popkomm-Gründer und Viva-Chef Dieter Gorny (42) geht: so deutsch wie möglich. Der Hobbybassist hatte dem „Kulturkolonialismus“ aus Großbritannien und den USA schon vor drei Jahren den Kampf angesagt. Im Namen des Wirtschaftsstandorts Nordrhein-Westfalen rechnete er den Viva-Gesellschaftern EMI, Sony, Time Warner und Polygram (je 19,8 Prozent) vor, daß Deutschland der drittgrößte Musikmarkt der Welt sei, und überzeugte sie von seinem Konzept, „40 Prozent nationales Produkt“ auszustrahlen. Was sich zunächst freilich auf ein paar hingestotterte Sätze der Moderatoren und die koketten Augenaufschläge von Heike Makatsch beschränkte. So richtig ernst nahm Gorny niemand.

Das hat sich geändert. Über Makatsch braucht man nicht mehr zu reden, aber über Viva: Der Sender hat es geschafft, das Monopol von MTV zu brechen und die deutsche Werbeindustrie für Videoclips made in Germany zu begeistern. Die 40-Prozent-Quote, die anfangs aus Mangel an deutscher Musik kaum zu schaffen war, wird mittlerweile locker gestemmt. Kein Wunder – bei Viva haben selbst die provinziellsten Deutschrocker eine Chance, berühmt zu werden. So spielten sich in den letzten Jahren drittklassige Mainstream- Bands wie Mr. Ed Jumps The Gun, H-Bockx, Selig und The Bates dank massiven Viva-Airplays in die Charts.

Noch weitaus penetranter fördert Viva seit jeher die zu einem großen Teil in Deutschland hergestellte Musik Eurodance, auch Kirmes-Techno genannt. Ohne ihr extrem billig produziertes Musik- oder besser Werbefernsehen befänden sich die deutschen Töchter der Unterhaltungsgiganten in einer prekären Lage.

Musik ist mehr als deutsche Texte

Angesichts der Allgegenwart deutscher Popproduktionen mutete es recht absurd an, daß der Rocksänger Heinz Rudolf Kunze vor zwei Monaten im Spiegel eine gesetzlich festgeschriebene 40-Prozent- Quote für einheimische Musik in Funk und Fernsehen forderte. Denn deutsch heißt für Kunze vor allem deutschsprachig – schlechtes Englisch allein reicht ihm nicht. Auch der Deutsche Rockmusikerverband warnt vor einem „Genozid an der deutschen Rockmusik“. Ähnlich geschmacklos sind die Argumente der Gegenseite. Als sich Kunze auch noch zu seiner Bewunderung für Botho Strauß bekannte, waren viele flugs mit dem Nazi-Etikett zur Hand.

Im achten Jahr der Popkomm und im dritten von Viva ist der Appell zur Rettung des Phantasieprodukts „Kulturnation“ zu einem irgendwie diskutablen Ansatz gereift. Wobei die Frage „Wie deutsch kann Pop sein“ bereits impliziert, daß der von einem Künstler mit deutschem Personalausweis produzierten Musik etwas Spezifisches anhaften kann, das auf seine Staatsangehörigkeit zurückzuführen ist.

Das Wesentliche geht im Wirbel um Kunze leider unter. Denn schon oft sind hiesige Popmusiker durch anti-anglo-amerikanische Ressentiments oder heimattümelnde Bekenntnisse zu deutschsprachigen Texten aufgefallen. Philip Boa etwa sagte vor dem Sendestart von Viva seinerzeit: „Deutschland ist der größte Musikmarkt in Europa, also ist es unlogisch, daß ein Monopol auf diesem Sektor vom kleineren englischen bzw. anglo-amerikanischen Markt dominiert wird.“ Und Bernd Begemann forderte im selben Jahr „daß man deutsch singt, damit man die Lieder versteht. Ich singe auf deutsch, weil ich zu meinen Nachbarn sprechen möchte.“

Wenn Heinz Rudolf Kunze sich darüber „wundert“, daß manche Musiker mit deutschem Personalausweis nicht deutsch singen, zeigt das zumindest, daß er zum Pop ein recht eingeschränktes Verhältnis hat, reduziert er doch die Botschaft der Musik auf den Text. Dabei haben auch Besitzer deutscher Personalausweise, die nicht einmal fünf Wörter Englisch sprechen, seit den Zeiten Elvis Presleys keine Schwierigkeiten damit, anglo-amerikanischen Pop zu verstehen. Umgekehrt zeigen die Erfolge, die deutsche Underground-Bands wie FSK und Blumfeld in US-amerikanischen und britischen Insiderzirkeln verbuchen, daß man auch dort die Musik von Bands versteht, deren Muttersprache man nicht beherrscht.

Blumfeld – sie gehören zu denen, deren Interessen Kunze im Spiegel-Interview zu vertreten vorgab – haben darüber hinaus immer wieder betont, daß sie keine deutschen Texte singen, sondern diese vielmehr in einer privaten Kunstsprache verfaßt sind. Und tatsächlich sind ihre Lyrics für die Mehrheit jener, die ihre „Gedanken auf deutsch ausdrücken“ (Kunze), nicht zu verstehen, weil sie unter anderem ein bestimmtes popkulturelles Wissen voraussetzen. Klaus Reinke/Oliver Gehrs