: „Wir reden nicht vom Jenseits“
Der Humanistische Verband Deutschlands bildet in Berlin erstmals Redner aus, die in Sprache und durch Rituale die weltliche Alternative zu kirchlichen Zeremonien im Leben wie im Todesfall sein wollen ■ Von Kathi Seefeld
Monika S. versucht ernst auszusehen. So ernst, als stünde sie vor einer Trauergemeinde. Statt der sonst üblichen Fülle von Kränzen und Gebinden – „genaugenommen nur teures Material fürs Krematorium“ – würde sie den Hinterbliebenen einen einzigen schlichten Korb „Lieblingsblumen“ empfehlen, aus dem zum Abschluß der Zeremonie jeder eine Blüte nehmen und sie dem Toten mit ins Grab geben könnte. Ein Gitarrenduo würde die Saiten zupfen, Kerzenlicht Fotos aus dem Leben des Verstorbenen umspielen und dann, so Monika S., würde sie zur Trauergemeinde sprechen ...
„Oder vielleicht lieber doch nicht.“ Die junge Frau ist sich unsicher: „Ich weiß noch nicht, ob Trauerreden wirklich mein Ding sind.“ Hier, im Kurs, bei der Rednerausbildung des Humanistischen Verbandes (HVD), klinge vieles so selbstverständlich.
Aber nicht immer habe man es mit „so spannenden Toten“ wie mit jenem 94jährigen zu tun, dessen Beisetzung die sieben RednerschülerInnen kürzlich beobachten durften, schätzt Monika S.
Der Mann fuhr Fahrrad, ging im Alter von 87 Jahren noch auf Paddeltour, und Gitarre spielte der Naturliebhaber auch. „Bei einem solchen Menschen hätte ich sofort Ideen für Trauerritual und Rede. Aber was macht man, wenn der Tote Alkoholiker war, seine Familie tyrannisierte?“
Die ehemalige DDR-Außenhändlerin grübelt. Ein kleiner Zuverdienst käme der Arbeitslosen nicht ungelegen, und reden kann sie ja. „Eigentlich. Wobei mir Kontakte zu anderen Menschen wahrscheinlich noch wichtiger sind als die paar Mark.“ Glücklicherweise, so Monika S., beinhalte die Rednerausbildung des HVD neben den Trauerzeremonien auch die Ausrichtung von Namens- und von Lebensgemeinschaftsfeiern. Letztere wird vor allem homosexuellen Paaren angeboten, die nach außen zeigen möchten, daß sie zusammengehören. „Ein symbolischer Akt, solange ihnen der Weg aufs Standesamt verschlossen bleibt“, weiß die Ex-Außenhändlerin. Eine Lebensgemeinschaftsfeier vorzubereiten, hier die richtigen Worte zu finden, das könnte sie sich vorstellen. Doch auf dem Stundenplan stehen erst einmal die Trauerreden.
Hermann-Eike Keller, Sänger und nebenberuflicher Organist, einer der drei männlichen Rednerschüler in der Gruppe, schätzt, daß ihm Beerdigungen garantiert besser liegen. „Lebensgemeinschaftsfeiern? Ich weiß genaugenommen nicht einmal, ob sich Lesben überhaupt von einem Mann trauen lassen würden.“ Sich als konfessionell Gebundener ausgerechnet bei den Freidenkern zum Redner schulen zu lassen, ist für den 41jährigen kein Problem. „Das kulturelle Anliegen gefällt mir.“ Die Interessenorganisation der Konfessionslosen sei mittlerweile die einzige Institution, die an einer Belebung der Begräbniskultur überhaupt interessiert ist. „Gerade wenn man weiß, daß über 70 Prozent der Menschen in den Ostbezirken konfessionslos sind, ist es doch nötig, den eingefahrenen Zeremonien der Kirche etwas entgegenzusetzen“, meint der Sänger. „Jeder stirbt nur einmal. Egal, ob sein Leben kurz oder lang gewesen ist, es verdient, entsprechend gewürdigt zu werden.“
Natürlich, so Maren Schmidt, Initiatorin der Rednerschule und Mitarbeiterin des HVD, sind dabei Grenzen von der Gesellschaft gesteckt. „Man darf seine Großmutter nicht einfach im Wald bestatten.“ Und auch für eine freidenkende Totenzeremonie stehen im Krematorium nur 20 Minuten zur Verfügung. In anderen Ländern, z. B. in den Niederlanden, gehe man mit dem Tod bereits wesentlich offener um und werde der Persönlichkeit des Verstorbenen dadurch in den meisten Fällen sehr viel besser gerecht. „Die Zeiten ändern sich auch bei uns“, ist sich die gelernte Diplompädagogin sicher. Schon früher war es vor allem die Freidenkerbewegung, die zur Entstehung kommunaler Friedhöfe beitrug und die dafür sorgte, daß 1878 gegen den Willen der Kirche das erste deutsche Krematorium seine Arbeit aufnahm. Von „Beerdigungshappenings“ wie sie in Holland das „Netzwerk begräbniserneuernde Initiativen“ anbietet und bei denen man sich selbst senkrecht stehend im Designersarg Marke „Kosmobil“ unter die Erde bringen lassen kann, sind die Berliner RednerschülerInnen zwar meilenweit entfernt. Aber Interesse für eine Ausstellung der holländischen Sargkollektionen im nächsten Jahr bestehe durchaus, konstatiert Kursleiterin Schmidt.
Der HVD ist nicht der einzige Anbieter von konfessionsloser Trauerbegleitung. Weltlich geprägt sind in Berlin derzeit bereits etwa 50 Prozent derjenigen, die professionell auf Beerdigungen sprechen. „Doch“, so Maren Schmidt, selbst jahrelang selbständige Trauerrednerin, bevor sie sich beim Humanistischen Verband mit ihre Idee von der Rednerausbildung durchsetzen konnte, „auch diese Redner handeln in 90 von hundert Fällen die Wünsche der Angehörigen lediglich am Telefon ab“. Hausbesuche fehlen. Um genügend zu verdienen, müsse man im Monat auf mindestens 30, 40 Trauerfeiern sprechen. „Individualität wird da zur Glückssache.“
Rückkehr, besser Hinwendung, zu einer persönlichen, menschlichen Betreuung im Todesfall, „bei der wir nicht vom Jenseits reden, sondern vom Hier sprechen“, das sei Anliegen des HVD, betont Maren Schmidt. „Dazu bilden wir qualifizierte Redner aus.“ Die Ansprüche, schätzt die Ex-Außenhändlerin Monika S., sind hoch. Auch eine riesige Portion Organisationstalent und Kreativität z. B. für die Entwicklung spezieller Rituale sind gefragt, weiß Hermann- Eike Keller.
Sechs Wochenenden dauert die Ausbildung insgesamt. Die TeilnehmerInnen haben Reden geschrieben, sich mit Rhetorik und Geschichte beschäftigt, andere Trauerredner beobachtet. „Jerderzeit die richtigen Worte zu finden“, sagt Monika S. „Aber den Anspruch, auch bei der vierhundertsten Rede gut zu sein, den sollte man schon haben“, meint sie und denkt noch einmal darüber nach, wie sie über einen Verstorbenen reden würde, der Alkoholiker war.
Informationen zu den Trauer-, Namens- und Lebensgemeinschaftsfeiern des Humanistischen Verbandes beim Landesverband Berlin e. V., Hobrechtstaße 8, 12043 Berlin, Tel.: 030-61 39 04 23 oder 61 39 04 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen