Das Portrait
: Gegen die Mythen

■ Volkhard Knigge

Der Mann wirkt unscheinbar. Aber Volkhard Knigge versteht zu kämpfen. In seiner zweijährigen Amtszeit als Stiftungsleiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar hat er sich zwischen alle Stühle gesetzt. Sein Ziel, den Ort der propagandistischen Vereinnahmung zu entziehen, hat dem 42jährigen aus Westdeutschland viele Gegner eingebracht. Um Buchenwald, einst von den Nazis errichtet und nach der Befreiung von der Sowjetunion zum Internierungslager umfunktioniert, tobt seit Jahren ein erbitterter Streit zwischen kommunistischen und antistalinistischen Opferverbänden. Bisheriger Höhepunkt ist eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung, Verleumdung und Verunglimpfung Verstorbener, die der Vorsitzende der „Opfer des Stalinismus in Thüringen“, Manfred Wettstein, anstrengte und gegen die sich Knigge gestern öffentlich zur Wehr setzte.

Der Anlaß für das Einschalten der Staatsanwaltschaft: Nach einer erstmaligen Auswertung sowjetischer Akten war Knigge zum Schluß gekommen, die Mehrheit der nach 1945 Internierten seien „zivile Funktionsträger des Naziregimes“ gewesen. Das Speziallager habe, so der Historiker und Erziehungswissenschaftler, der „stalinistischen Entnazifizierung“ gedient. Er widersprach der These der stalinistischen Opferverbände, in Buchenwald hätten überwiegend politische Verfolgte aus der sowjetischen Besatzungszone gesessen.

Doch nicht nur Konservative und Rechte, auch Linke laufen gegen Knigges abwägendenden Kurs Sturm. Kommunistische Opferverbände grollten, weil er dem zu DDR-Zeiten errichteten Mahnmal den Mythos einer sozialistischen Heldenstätte nahm. „Adenauer-Geschichtsschreibung“ lautete der Vorwurf, als er im April April 1994 eine Dauerausstellung eröffnete, die erstmals die von der DDR ausgegrenzten Opfergruppen würdigt.

Knigge eckt an, wo es ihm notwendig erscheint. Anläßlich der Verleihung des Weimar-Preises an den ehemaligen KZ-Häftling und Ex-kulturminister Spaniens, Jorge Semprun, schrieb er 1995 der Stadt Weimar ins Stammbuch, daß sie angesichts des KZ „viel zu lange geschwiegen“ habe. Severin Weiland