Ein Dämon, abgeschminkt

Podiumsgespräche und Internet-Tribunal: Eine wissenschaftliche Untersuchung über Propagandafilme, fünfzig Jahre nach dem Tod des „Jud Süß“-Darstellers Ferdinand Marian  ■ Von Thorsten Pannen

Am 9. August 1946 starb der Schauspieler Ferdinand Marian unter bis heute nicht genau geklärten Umständen. Ob es sich bei seinem Tod um einen Autounfall, um Selbstmord oder um einen Fall der „Siegerwillkür bzw. -rache“ handelte, ist umstritten. Letztere These wird vor allem in rechtsradikalen Kreisen vertreten, ähnlich wie im Fall Heinrich Georges, den man noch immer als Opfer jüdischer Ärzte sieht.

Der 1902 in Wien geborene Marian begann seine Schauspielerkarriere in Graz, spielte am Deutschen Theater Berlin sowie am Staatstheater München und reüssierte schließlich in den 30er Jahren als Paradedarsteller des erotischen Verführers im deutschen Film. „Ein Hochzeitstraum“ (1936), „Stimme des Herzens“ (1937) und „Madame Bovary“ (1937) waren die Filme, die er durch sein „exotisches“ Fluidum als Herzbube zu Kassenschlagern machte. Angesichts der Sterilität „arischer“ Mannsbilder mit kruder Förstererotik schätzte das Publikum Marians Aura vermeintlich abgründiger Sexualität.

Die meisten dieser Filme sind heute zu Recht weitgehend in Vergessenheit geraten, Ferdinand Marian wird, wenn überhaupt, nur in einer einzigen Verführerrolle erinnert: als Joseph Süß-Oppenheimer in dem antisemitischen Hetzstreifen „Jud Süß“ (1940), der unter der Regie von Veit Harlan und dem Protektorat Goebbels' neben dem „Ewigen Juden“ zum folgenreichsten und berüchtigsten Propagandafilm des Dritten Reichs wurde.

Die Identifikation des Schauspielers Marian mit der Rolle des galanten Verführers und sein südländisches Aussehen ließen ihn zur Idealbesetzung für die historische Figur des Süß-Oppenheimer werden, der vor rund 250 Jahren am Hofe des Herzogs von Württemberg (im Film gespielt von Heinrich George) als Finanzberater Karriere machte.

In Verbindung mit Oppenheimers Leidenschaft zur Christin Dorothea (Kristina Söderbaum als „Reichswasserleiche“ einmal mehr in ihrer Paraderolle), die er vergewaltigt und die anschließend wieder den Freitod im Wasser sterben muß, wurde daraus der adäquate Stoff für eine historisch kompatible Fiktion, die die Ressentiments der nationalsozialistischen Realität perfide bediente — die feine Kunst der Propaganda. Der Wahn einer jüdischen Verschwörung gepaart mit sexueller Perversion, Rassenschande und Sexualneid — all das ergab eine entsprechend verzerrte antisemitische „Kabale und Liebe“-Version, die der Propaganda-Apparat zu nutzen wußte.

Der Film wurde SS-Kommandos vor Einsätzen gegen Juden und KZ-Wachmannschaften gezeigt, und er diente noch für die grausamsten Verbrechen als Antrieb und anschauliche Legitimation. Auch nach 1945 galt er im Nahen Osten als geeignetes Hetzmaterial gegen Israel — und wurde umgekehrt aber auch von Israel für antiarabische Propaganda genutzt.

In Deutschland wurde der Film verboten, Harlan der „Mitschuld an Kriegsverbrechen“ angeklagt, Marian erhielt Spielverbot. Während Harlan freigesprochen werden mußte, weil bis heute nicht eindeutig bewiesen werden konnte, ob und mit welchem Nachdruck man ihn zu dieser Inszenierung gezwungen hatte, flüchtete Marian in den Alkoholismus und kam vor 50 Jahren ums Leben. Er blieb auf seine Rolle festgelegt, oder, wie ein Filmkritiker es formulierte, auf seine „Maske“: „Wir wollen Marian nicht mehr sehen. Aus jedem seiner Filme starrt uns die abgründig verzerrte Fratze seines Jud Süß an. Diese Maske haben wir ihm nicht vergessen.“

Der Film, seine Entstehung und Rezeption, die Beteiligten und ihr Leben nach dem Film geben heute ein Lehrstück ab über das Verhältnis von Propaganda und Kunst, über die Schuld von Künstlern sowie den Umgang mit Geschichte. Diese Fragen hat Friedrich Knilli, Professor am Institut für Medienwissenschaften der TU, zum Thema einer Reihe von Veranstaltungen gemacht.

Das Programm umfaßt einen Vortrag Knillis über die „Jud Süß- Darsteller vor und nach Ferdinand Marian“ ebenso wie eine Vorführung der insgesamt drei „Süß“- Filme sowie eine illustre Expertenrunde über die „Judenrollen vor und nach Auschwitz“, an der unter anderem auch Thomas Langhoff, Peter Zadek, George Tabori, Michael Verhoeven, Klaus Maria Brandauer und Bernhard Minetti teilnehmen sollen.

Auch um eine „halbherzige“ (Knilli) Rehabilitierung Marians geht es dem Medienexperten, der glaubt, daß der Schauspieler „Opfer seiner überragenden Kunst der Menschendarstellung wurde“. Podiumsgespräche und vor allem ein „Internet-Tribunal“ werden für die nötige Öffentlichkeit sorgen, wobei das Tribunal wohl den spektakulärsten und auch umstrittensten Bestandteil ausmacht. Noch ist der Sinn der Sache ein wenig versteckt. Ziel aber ist, so Knilli, die Neubewertung der Verhältnisse aufgrund neuer Erkenntnisse — aus dem Abstand von 50 Jahren gesehen.

Dabei schreckt Knillis auch nicht vor plakativen Zuspitzungen zurück: „Eines der ältesten antisemitischen Motive, die sogenannte Judensau, ist ein Zentrum analerotischer Tierpornos: Juden lecken einem riesigen Mutterschwein den Arsch aus und saugen an dessen Zitzen. In dieser langen antisemitsichen Tradition von Kinder- und Tierpornographie, Schicksen- und Zuhältererotik steht auch der Spielfilm Jud Süß.“

Hoffentlich bleibt bei dieser medial forcierten Großveranstaltung nicht die nötige Trennschärfe auf der Strecke, so daß mögliche Erkenntnisse zu einer spektakulären Melange provokanter Thesen, nachholender Gerechtigkeit und medialer Möglichkeiten verkämen.

In jedem Fall spannend und nach wie vor aktuell ist eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Fiktion und Realität, von Rollen und voreiligen Identifikationen, die immer wieder den Vergleich mit nationalsozialistischer Propaganda bemühen — zuletzt mit Lengsfeldscher Konsequenz und falschen Bärten, die als solche leider nicht erkannt wurden.

Der Starttermin des Internet-Tribunals steht noch nicht fest. Kontaktadresse: Prof. Friedrich Knilli, Institut für Medienwissenschaften, TU Berlin, Ernst-Reuter-Platz 7, 10587 Berlin