Zugereiste und einheimische Feiertagsgefühle Von Klaudia Brunst

Das Schöne an der Arbeit in einer Tageszeitung ist, daß man immer am Tag vor dem eigentlichen Feiertag frei hat. Das heißt, nicht am Karfreitag, sondern am Gründonnerstag, nicht am Tag der Arbeit, dafür aber am Tag vor dem Tag der Arbeit. Und eben nicht am Tag der deutschen Einheit. Deshalb hatte ich letzten Mittwoch frei.

Weil meine Freundin in dieser Woche mit Grippe im Bett lag, war ich mit Einkaufen dran. Also rollerte ich mit unserem kleinen Cityshopper zum Konsum, um den Nachschub an Gesundheitsutensilien einzuholen. Ein Netz Orangen, eine Packung Kamillentee, frisches Gemüse für eine stärkende Brühe – und eine Packung Toffifee, weil meine Freundin die immer braucht, wenn sie Fieber hat.

Das Erstaunlichste an den Berlinern ist, daß man sie selbst als Rheinländerin mit der Zeit für fast ganz normal hält. Zum Beispiel, daß sie kein „Z“ sagen können. Oder daß sie am Kiosk immer „West leicht“ sagen, obwohl das doch „West light“ heißt. Daß sie nicht backen können und trotzdem überall Bäckereien aufmachen. Oder daß sie einfach nicht verstehen wollen, daß man einen Omnibus auch durch die mittlere Tür betreten darf. Das alles macht den Berliner aus, und je länger ich mit ihm in einer Stadt wohne, desto mehr kann ich seine kleinen Eigenheiten liebgewinnen. Nur daß der Berliner immer noch glaubt, vor jedem etwas längeren Wochenende seinen Vorratskeller bis unter die Decke vollstopfen zu müssen – das werde ich nie begreifen!

„Das sind Nachkriegsschäden“, zuckte unsere Nachbarin (eine Einheimische) die Achseln und legte drei Pfund Barilla-Nudeln in ihren Einkaufswagen. „Luftbrücke und so. Das kriegste aus uns nicht mehr raus. Und seit sie die Senatsrücklagen aufgelöst haben, muß man jetzt eben allein für sich sorgen.“

In der Tat. Um uns herum sah es aus, als habe der Iwan gerade wieder den Kalten Krieg ausgerufen. Besonders die länger haltbaren Lebensmittel fanden reißenden Absatz. Reis, Nudeln, Dosengulasch und Dauerwürste lagen praktisch in jedem Korb. Dazu natürlich massenhaft Eingewecktes. „Wann wollt ihr das alles essen, ihr Berliner?“ fragte ich meine Nachbarin. „Es ist doch nur dieser blöde Tag der deutschen Einheit!“ – „Weiß man's?“ entgegnete sie und orderte an der Fleischtheke drei Kilo Rinderroulade. „Die kann man doch noch einfrieren, oder?“

Das Blödeste an der Arbeit in einer Tageszeitung ist, daß man an den Feiertagen immer arbeiten muß. Am Tag der deutschen Einheit mußte ich nach Frankfurt zur Buchmesse. Mit der Frühmaschine 7.38 Uhr. Also 7.00 Uhr Boarding, 6.15 Uhr aus dem Haus, 6.00 Uhr aufstehen. „Frühstücken kann ich ja dann in Frankfurt“, hatte ich meine Freundin beruhigt und war ohne Kaffee in die U-Bahn gestiegen. Eine Nachlässigkeit, die ich noch bereuen sollte. Wegen Bodennebel in Frankfurt bekam unsere Maschine zweieinhalb Stunden lang keine Startgenehmigung. Als mein knurrender Magen nicht mehr zu überhören war, bot mir meine Sitznachbarin ein hartgekochtes Ei aus ihrem Lunchpaket an. „Nu rejen Se sich ma nich so künstlich uff. Is doch allet schon viel besser jeworden“, meinte sie. „Wat meinen Sie, wie lange wa früher bei die Brüder und Schwestern in Dreilinden uff Abfertijung jewartet ham!“