„Seichte Rhetorik“

GAL In einem Memorandum rechnet Ex-Parteichef Kurt Edler mit grüner Politik ab. Interne Debatte nach der Wahlniederlage kommt in Fahrt

„Wir brauchen eine klare Strategie statt Politikverwaltung“

KURT EDLER, GAL

Kurt Edler nimmt kein Blatt vor den Mund. „Politikversagen seit 2008“ attestiert er der gesamten Führungsebene der GAL. Diese habe „ihre Bündnisoptionen nie begründet“ – weder den 2008 erfolgten Einsteig in Schwarz-Grün noch den „unvermittelten Ausstieg“ im vorigen November und auch nicht die rot-grüne Alternative im Bürgerschaftswahlkampf, kritisiert Edler in einem internen Memorandum. Die GAL, heißt es darin, „katapultiert sich in die Opposition“.

Der 60-jährige Edler galt lange als Chefdenker des Realo-Flügels der Hamburger Grünen. Bis 1997 war der Lehrer Abgeordneter in der Bürgerschaft, danach bis 2001 Parteichef in der Doppelspitze mit der Parteilinken Antje Radcke. Nach der Abspaltung des linken „Fundi-Flügels“ 1999, der den „Regenbogen – Für eine neue Linke“ gründete, war die Doppelführung abgelöst worden durch das Modell mit Parteichefin und vize. Seitdem dominieren pragmatische Realos die GAL

Umso schwerer wiegt deshalb Edlers Abrechnung mit Personen und Politikkonzepten. Die grünen „Hauptakteure“ hätten seit 2008 „alle großen Entscheidungen aus der hohlen Hand getroffen“, schreibt Edler. Für die jetzige „Generation grüner Politikmacher“ sei Politik zu einem „bloßen Handwerk geworden, das ohne Theorie und Strategie“ auskomme. Alle großen Entscheidungen seien der Basis auf Mitgliederversammlungen zum Abnicken vorgelegt worden, keiner jedoch sei „ein innerparteilicher Strategiediskurs“ voraus gegangen. „Von den allermeisten Beteiligten haben wir nie eine strategische Darlegung gelesen oder gehört“, so Edler, „die sich von seichter Marktplatzrhetorik freigemacht hätte.“

Es gehe ihm „um eine neue Form des Dialogs in der Partei“, begründet Edler im Gespräch mit der taz sein Papier, das im GAL-internen Forum und auf seiner Homepage zu lesen ist: „Wir brauchen eine klare Strategie statt Politikverwaltung.“

Ähnliche Kritik war bereits vorige Woche auf der Mitgliederversammlung nach der Wahl laut geworden. Nach mehrstündiger Debatte hatten die etwa 200 Grünen für einen Antrag mit dem Titel „Mit grünen Inhalten Opposition gestalten“ votiert, der einen „breit angelegten Prozess zur Analyse der hamburgischen Politik“ fordert, um „zeitnah Konzepte neu zu entwickeln“.

Das werde jetzt auch in die Wege geleitet, sagt der Parteivize Anjes Tjarks, der Edlers Analyse in weiten Teilen für richtig hält. „Das zentrale Problem der GAL ist die mangelnde Gestaltungsreichweite“, sagt Tjarks auf Anfrage der taz. Grüne Themen wie Nachhaltigkeit, Klimawandel oder Energiewende seien inzwischen selbstverständlich in der Mitte der Gesellschaft, die GAL in Hamburg aber werde nur von zehn bis 14 Prozent der Menschen gewählt – den Grünen werde offenbar Meinungsführerschaft zugebilligt, so Tjarks – nicht aber Problemlösungskompetenz. SVEN-MICHAEL VEIT