China will keinen Nobelpreis

■ Die Regierung in Peking warnt das Osloer Komitee vor einer Auszeichnung des Dissidenten Wei Jingsheng

Peking/Oslo/Hamburg (dpa/AFP) – Die chinesische Führung hat gestern scharf vor einer Vergabe des Friedensnobelpreises an den inhaftierten Dissidenten Wei Jingsheng gewarnt. Der Sprecher des Außenministeriums in Peking, Shen Guofang, sagte gestern: „Er ist ein Krimineller, der chinesische Gesetze verletzt hat, und überhaupt nicht qualifiziert, einen Preis verliehen zu bekommen.“ Der Preisträger wird heute vom Nobelkomitee in Oslo bekanntgegeben.

Der 46jährige Wei Jingsheng war seit 1979 wegen seines Einsatzes für Demokratie mit Ausnahme von sechs Monaten stets in Haft. Die Hilfsorganisation AIDA (Association Internationale de Défense Des Artistes) teilte gestern in Hamburg unter Berufung auf zuverlässige Quellen in Peking mit, daß der Zustand des herzkranken Wei lebensbedrohlich sei. Er müsse seine Zelle mit Kriminellen teilen und dürfe weder schreiben noch lesen.

China dürfte auf eine Auszeichnung Weis schärfer reagieren als auf die Preisvergabe von 1989, als der Dalai Lama für seinen gewaltlosen Widerstand gegen die chinesische Besetzung Tibets den Friedensnobelpreis erhielt. Damals hatte Peking Oslo vorübergehend mit Handelssanktionen gedroht.

Wei galt in Oslo als aussichtsreichster Anwärter neben Richard Holbrooke, dem ehemaligen US-Vermittler in Bosnien- Herzegowina. Spekulationen zufolge könnte Holbrooke sich den Preis mit einem Europäer teilen, etwa mit dem Schweden Carl Bildt, dem Beauftragten für den Wiederaufbau Bosniens, oder einer der beteiligten internationalen Organisationen wie den Ifor-Friedenstruppen oder dem Gerichtshof in Den Haag.

Zu anderen Personen, die im Gespräch waren, zählt die kurdische Menschenrechtlerin Leyla Zana, die in der Türkei eine fünfzehnjährige Haftstrafe wegen angeblicher Kontakte zur verbotenen Arbeitspartei Kurdistans (PKK) verbüßt. Bereits im Vorjahr wurden der mexikanischen Bischof Samuel Ruiz genannt, der sich als Vermittler im Chiapas-Konflikt engagiert hatte, und der Bischof von Ost- Timor, Carlos Felipe Ximenes. Doch im letzten Jahr entschied sich das Nobelkomitee für keinen der Favoriten: Der Preis ging an die Pugwash-Konferenz, deren Mitglieder sich gegen die atomare Bewaffnung engagieren.