Atommüll-Lager leckt in die Ostsee

■ Überfülltes Depot für Brennelemente bei Sankt Petersburg ist undicht, wird aber weiter vollgestopft

Stockholm (taz) – Schon seit längerer Zeit sickert radioaktiv verseuchtes Wasser aus dem Lagerbecken der Atomkraftwerke beim russischen Sosnowi Bor – doch die Betreiber tun nichts dagegen. Dies beweist die russische Umweltschutzorganisation Zelenij Mir („Grüne Welt“ oder „Grüner Friede“) in einem gestern vorgelegten und mit umfassender Dokumentation belegten Rapport. Das mehrere hundert Quadratmeter große Becken liegt ohne weitere Abschirmung nur 80 Meter von der Ostseeküste bei Sankt Petersburg entfernt. Auf Fotos, die sich Zelenij Mir aus dem streng bewachten und für Außenstehende sonst unzugänglichen AKW beschafft hat, sind umfassende Risse in der Konstruktion des Atommüllagers zu sehen.

Für die anderen Anrainerstaaten der Ostsee drohen keine akut sichtbaren Folgen, weil das Sickerwasser im Meer stark verdünnt wird. Das lediglich zur „mittelfristigen“ Lagerung 1973 gebaute Lager ist jedoch mit 20.000 abgebrannten Uranbrennstäben mittlerweile übervoll. Die Kraftwerksleitung der vier Atomkraftwerke vom Tschernobyl-Typ ist – mangels Alternative – seit einiger Zeit dazu übergegangen, die Brennstäbe doppelt so dicht zu lagern, wie nach den ursprünglichen Richtlinien genehmigt. Die stark strahlenden Abfälle sind immer noch mehrere hundert Grad heiß und müssen ständig gekühlt werden, damit sie nicht die Metallrohre sprengen, in die sie eingeschlossen sind.

Der Sprecher von Zelenij Mir, Oleg Bodrow, wohnt selbst in Sosnowi Bor. Er hat mehrfach versucht, die Behörden auf die ungesetzlichen Zustände aufmerksam zu machen. Reagiert haben bislang nur Verwaltungen auf lokaler Ebene, die laut Bodrow Kontakt mit der Kraftwerksleitung aufgenommen hätten, um die Beschuldigungen zu klären. Der Verband hält die Zustände im Zusammenhang mit dem undichten und übervollen Lagerbecken für so gravierend, daß er eine Abschaltung der Atomzentrale fordert, bis deren Atommüllprobleme geklärt seien.

Bei den finnischen und schwedischen Strahlenschutzbehörden will man den Rapport der russischen Organisation gründlich prüfen. Die Radioaktivitätswächter in Helsinki weisen darauf hin, daß jedenfalls bislang keine auffallend erhöhten Strahlenwerte an der eigenen, Sosnowi Bor gegenüberliegenden Ostseeküste gemessen worden seien. Reinhard Wolff