Geld oder Leben hinter Gittern

■ Kein Geld für Projekte, die gemeinnützige Arbeit als Ersatz für Freiheitsstrafen vermitteln. Justizsenatorin: "Zur Zeit gibt es nur Geld- oder Haftstrafe"

Wer kein Geld für die vom Gericht aufgebrummte Strafe hat, ohne festen Wohnsitz ist und einer Straftat verdächtigt wird oder nicht zur Hauptverhandlung erscheint, wandert in der Regel in den Knast. Die Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen und die Sicherstellung von Gerichtsverfahren läßt zwangsläufig die Gefangenen in den ohnehin überfüllten Haftanstalten weiter zusammenrücken. Die sieben Haftanstalten mit etwa 4.200 Plätzen sind derzeit mit etwa 4.500 Gefangenen belegt.

Eine Besserung ist nicht in Sicht. Die Angebote von Projekten, die zur Vermeidung von Haftstrafen gemeinnützige Arbeit vermitteln, werden kaum genutzt, geplante Projekte für betreutes Wohnen zur Vermeidung von Untersuchungshaft stehen wegen Geldmangel in den Sternen, so das Fazit eines Berichts zur Haftvermeidung, den Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) gestern im Rechtsausschuß des Abgeordnetenhauses vorstellte.

Nach Angaben der Justizverwaltung haben in den letzten Jahren zwar viele Richter für eine Abarbeitung der Geldstrafe plädiert, doch die wenigsten Verurteilten haben davon Gebrauch gebraucht. So wurde 1992 von den Gerichten zwar in über 6.000 Fällen gemeinnützige Arbeit gestattet, so Pressesprecherin Corinna Bischoff, doch nur 266 Verurteilte nahmen dieses Angebot an. Die Ursachen sieht die Pressesprecherin „in einer allgemein gesunkenen Arbeitsmoral“ der Betroffenen. Außerdem nehme die Zahl von Drogenabhängigen zu, die zu einer geregelten Arbeit kaum in der Lage seien.

Der rechtspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen sieht das anders. Norbert Schellberg bezeichnete den Bericht der Justizsenatorin außerdem als „Kahlschlagbilanz“: „Sämtlichen von der Justizsenatorin erwähnten Projekten droht das finanzielle Aus.“ Das Projekt „Arbeit statt Strafe“ wurde bereits Anfang des Jahres eingestellt, weil die Justizverwaltung die Mittel gestrichen hat. Ein Projekt der Arbeiterwohlfahrt zur Haftvermeidung von Frauen wird nur noch bis Februar nächsten Jahres vom Arbeitsamt gefördert. Die InitiatorInnen des noch nicht realisierten Projektes „Betreutes Wohnen“ haben nach vergeblicher Suche nach behördlicher Unterstützung resigniert aufgegeben. „In Zukunft werden wir nicht einmal mehr die Leute erreichen, die bisher erreicht wurden“, so Schellberg.

Auch die Justizsenatorin räumte gestern ein, daß Haftvermeidung „nur zu einem Teil“ gelinge. Auf die Vorwürfe der Opposition, „an der falschen Stelle zu sparen“, entgegnete Peschel-Gutzeit, daß die Vorgaben des Haushaltsstrukturgesetzes eine Fortführung aller Projekte nicht erlaubten.

Am Ende machte sich Ratlosigkeit im Ausschuß breit: Während die SPD-Fraktion eine Diskussion zum Bau einer neuen Haftanstalt anregte, was die Grünen definitiv ablehnen, sagte Peschel-Gutzeit, daß „wir an einer Ecke im sozialen System angelangt sind“, wo niemand so recht Hilfe wisse. „Zur Zeit gibt es nur Geld- oder Haftstrafe.“ Barbara Bollwahn