Ein Mann mit Nehmerqualität

Daimler-Chef Jürgen Schrempp hat seinen Aktionären viel versprochen und im Kampf gegen die Lohnfortzahlung nur eine kurze Feuerpause eingelegt. Der nächste Schlag sitzt vielleicht besser  ■ Von Philipp Maußhardt

Karl Feuerstein, der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats bei Daimler Benz, kann zufrieden sein. Mit dem von der Konzernspitze nicht erwarteten Protest der Mercedes-Arbeiter gegen die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall hat er vor allem eines erreicht: den Vorstand von Daimler Benz blamiert. Die angekündigte sofortige Kürzung wurde vorläufig wieder zurückgenommen.

Daß Deutschlands größter Industriekonzern in der anstehenden Auseinandersetzung zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern die Rolle der Planierraupe übernimmt, ist neu und hängt eng mit der Person von Jürgen Schrempp zusammen. Der Vorstandsvorsitzende macht nun wahr, was er den zornigen Aktionären auf der letzten Versammlung im Mai diesen Jahres versprochen hatte: Die Ära Reuter ist vorbei. Was unter Schrempp zählt, ist nur das eine: der Sharehoulder-Value – ein Wort, das zwar treffend, aber nur sehr unschön mit Profit beschrieben wird.

Mit dem Image des Aufräumers will Schrempp das Katastrophenjahr 1995 möglichst schnell vergessen machen, in dem der Daimler- Benz-Konzern 5,7 Milliarden Mark Verluste geschrieben hatte. Daß er daran unter Edzard Reuter selbst beteiligt war, nahm man dem Neuen kaum noch übel. Im Gegenteil: Schrempp kokettierte noch damit, nannte das Desaster „auch meine Schuld“, um im nächsten Satz nicht ohne Stolz zu prusten: „Aber ich stehe noch hier.“ „Rambo“ nannten ihn manche deswegen, aber ein purer Kraftmeier ist Schrempp ganz und gar nicht.

Wie er in jener denkwürdigen Aktionärsversammlung dieses Frühsommers vorn auf dem niederen Podium saß, während ihm neun lange Stunden erst der enorme Bilanzverlust und dann auch noch seine alkoholischen Ausschweifungen öffentlich vorgehalten wurden, das hatte Nehmerqualität.

Reuter der Feingeist, Schrempp der Poltergeist? Irgendwie stimmt das, und dennoch läßt sich der Mann, der von sich behauptet, „ein Mensch bleiben zu wollen“, nicht nur in Härtegraden messen. Da muß man schon noch einmal zu der spanischen Treppe nach Rom zurück, wo sich Schrempp im vergangenen Jahr mit Rotweinflasche und Sekretärin im Arm von den Carabinieri überrumpeln ließ. Das muß ein deutscher Industrieführer erst einmal können, ohne bleibenden Schaden zu nehmen.

„So bin ich halt“, sagt Schrempp. Schrempp ist, wie er ist. Das macht ihn letztlich viel kalkulierbarer als seinen Vorgänger, und darum hat er auch im eigenen Vorstand einen Rückhalt, von dem Reuter nur träumen konnte. Daß man in der obersten Führungsetage in Stuttgart einmal laut „Scheiße“ brüllen hört, ist vielleicht neu, wird aber von Aufsichtsräten und Vorstandskollegen durchaus mit Hochachtung quittiert. „Ein Typ“ sitzt eben jetzt in der Machtzentrale und kein weicher Taktiker mehr. „Synergieeffekte“ oder „Diversifizierung“, Lieblingsworte seines Vorgängers, nimmt Schrempp jedenfalls nicht in den Mund.

Der Umbau an der Spitze des Daimler-Benz-Konzerns gelang ihm bislang jedenfalls reibungslos, wenn man darunter versteht, daß nur andere zerrieben wurden. Wie der Mercedes-Nutzfahrzeug-Vorstand Bernd Gottschalk zum Beispiel. Dem ging die Neuordnung der Geschäftsfelder im Konzern gegen den Strich, und er trat im Juli zurück. Das nächste Opfer könnte Mercedes-Chef Helmut Werner sein, eigentlich ein „Männerfreund“ von Schrempp. Doch auch er muß mit Kompetenzverlusten rechnen, wenn Schrempp sein Konzept durchsetzt, daß in Zukunft nicht mehr die Vorstände der Tochterunternehmen Mercedes, Dasa und Debis dem Gesamtkonzern Rede und Antwort stehen, sondern Manager in der Daimler-Benz-Holding.

Vor einem Monat tat Schrempp, was er am liebsten tut. Er trat in London vor die Presse und teilte mit, daß es mit Daimler- Benz weiter aufwärts geht. Nur eben noch immer nicht so steil, wie er es seinen Aktionären versprochen hat. Zwölf Prozent im Jahr soll jeder Geschäftszweig an Kapitalrendite abwerfen und da, so Schrempp, stört bislang vor allem „die Kostenposition in den deutschen Werken“. Da hört Betriebsrat Feuerstein schon wieder den Elefanten trapsen. Er darf sich wohl nur kurz über die Feuerpause freuen. Schrempp holt nur aus zum neuen Schlag. Der sitzt dann vielleicht besser.