Zwickels Drohung ist „echt Scheiße, Mann“

■ DGB-Kongreß stimmte mit großer Mehrheit gegen die Vertagung der Programmdebatte

Dresden (taz) – Die Bitte von Franziska Wiethold erfüllte Klaus Zwickel nicht. Der Vorsitzende der IG Metall ergriff zwar das Wort, doch hinterher war die „Bedrückung“, von der die HBV-Delegierte gesprochen hatte, immer noch nicht aus der Welt. Daß Zwickel den Delegierten schon bei der Anreise am Mittwoch via Bild drohte, die IG-Metall-Delegation werde sofort abreisen, wenn der Kongreß sich für eine Vertagung der Beschlußfassung zum neuen DGB-Programm entscheide, stieß vor allen den Delegierten der kleineren Gewerkschaften übel auf.

Nach dieser Drohung schwante Axel Becker von der IG Medien Böses: „Du hast uns damit demonstriert, was von einem DGB zu halten ist, der nur noch das nachvollzieht, was die Großen sagen.“ Und dann nahm der gestandene Gewerkschafter eine sprachliche Anleihe beim „jugendlichen Jargon“ und schloß seinen Beitrag so: „Echt Scheiße, Mann.“ Der heftige Applaus aus den Reihen der 600 Delegierten bewies, daß die Drohgebärden Zwickels auch in den Reihen jener, die seine Position in der Sache teilten, als schlechter Stil empfunden wurde.

Zuvor hatte schon der Chef der IG Medien, Detlef Hensche, genüßlich aus der Programmpassage zur gewerkschaftlichen Organisationskultur zitiert, in der „von Toleranz und Teilhabe“ die Rede ist. „Teilhabe“, so Hensche, „ist etwas anderes als Abreise.“ Auch dafür gab es stürmischen Beifall. In der Sache aber folgte der Kongreß den vier kleineren Gewerkschaften, die zwar den DGB-Programmentwurf diskutieren, nicht jedoch endgültig beschließen wollten, dann aber doch mit überwältigender Mehrheit nicht.

Walter Riester, stellvertretender IG-Metall-Chef und zugleich als Vorsitzender der Antragskommission dafür verantwortlich, daß viele Vorschläge aus den 570 Änderungsanträgen in den überarbeiteten Entwurf aufgenommen wurden, sprach vielen aus der Seele, als er davor warnte, jetzt auf eine „neue Positionierung“ der Gewerkschaften zu verzichten. Riester, dessen Gewerkschaft knapp ein Drittel der Delegierten stellt, räumte zwar ein, auch kein geschlossenes Konzept für die Lösung der ökonomischen und sozialen Krise zu haben, aber eine alle befriedigende „ganzheitliche Lösung“ sei auch in zwei Jahren nicht zu erwarten. Auch der Vorsitzende der eher konservativen IG Chemie, Hubertus Schmoldt, stritt gestern vehement gegen Hensche & Co. Es gehe jetzt darum, die inhaltlichen Differenzen klar auszusprechen und zu entscheiden, denn eine Vertagung würde „die Gegensätze nur verkleistern“. Schmoldt erinnerte daran, daß der vorgelegte Entwurf noch im März dieses Jahres von allen Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften im DGB „einstimmig“ als tragfähige Grundlage angesehen worden sei.

Das Scheitern der Konsensgespräche im Bonner Kanzleramt hat die Programmdebatte tatsächlich erst richtig in Schwung gebracht. Plötzlich war die Gewerkschaft als „Gegenmacht“ wieder gefragt. Aus vielen in Dresden nun vorliegenden Änderungsanträgen spricht der Wille, die Gewerkschaft wieder mehr als Kampforganisation zu positionieren und die ausschließlich sozialpartnerschaftlich orientierten Kräfte ein bißchen zurückzudrängen. Zum großen Krach wird das in den nächsten Tagen dennoch nicht führen, denn die Parole in Dresden lautet nun: „Wir waren immer Gestaltungskraft und Gegenmacht zugleich.“ So die DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer. Zur Zeit neigt sich die Waage wieder in Richtung „Gegenmacht“. Walter Jakobs