■ Blauhelmtruppen, die in Zaire Versorgungskorridore für Flüchtlinge schützen sollen, drohen Kriegspartei zu werden
: Militärintervention mit unklarem Ziel

Nun sollen also wieder einmal Truppen auf die Reise geschickt werden, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Wie schon früher bei anderen Gelegenheiten, so hört sich auch diesmal der Plan im Vorfeld so einfach an, daß dagegen kaum Einwände möglich zu sein scheinen. Truppen mit dem Mandat der Vereinten Nationen sollen einen Korridor sichern, über den Hunderttausende ruandischer Flüchtlinge im Osten Zaires versorgt werden können. Sie sind seit Ausbruch der Kämpfe in der Region von jeder Hilfe abgeschnitten. Alle Konfliktparteien haben dem Einsatz zugestimmt. Wo liegt das Problem?

Wie immer im Detail. Nach wie vor ist völlig unklar, was mit der internationalen Militärintervention eigentlich erreicht werden soll – und wie es erreicht werden kann. Die in die Krisenregion entsandte Ministerdelegation der Europäischen Union hat nach Abschluß ihrer Reise eindeutig erklärt, Ziel der internationalen Operation dürfe nicht sein, die verlassenen Flüchtlingscamps wieder aufzubauen und erneut zu stabilisieren. Vielmehr müsse mit Hilfe der UN- Blauhelme die geordnete Heimkehr der Kriegsvertriebenen nach Ruanda organisiert werden.

Eine endgültige Auflösung der zairischen Lager würde gewiß die explosive Situation entschärfen. Nach der Niederlage im ruandischen Bürgerkrieg und dem Völkermord an der Tutsi-Minderheit hatten sich zahlreiche Drahtzieher des Genozids ins benachbarte Zaire geflüchtet. Die alten ruandischen Machtstrukturen bestanden in den Flüchtlingscamps weiter fort. Zehntausende der Männer in den Lagern waren bewaffnet. Es gab zahlreiche Hinweise darauf, daß das gestürzte Regime von zairischem Boden aus einen Angriffskrieg gegen Ruanda vorbereitete.

Aus genau diesen Gründen aber kann eine Auflösung der Flüchtlingscamps in Zaire nicht im Interesse der alten Machthaber Ruandas liegen. Seit Jahren haben sie unschuldige Zivilisten als Schutzschirm benutzt, zum einen, um die eigene Versorgung sicherzustellen, zum anderen, um sich der Verfolgung zu entziehen. Gingen alle, die mit dem Völkermord nichts zu tun hatten, tatsächlich nach Hause zurück, dann wären die Schuldigen isoliert und damit höchster Bedrohung ausgesetzt.

Es sieht so aus, als glaubte man in New York und Washington, die für den Völkermord in Ruanda verantwortlichen Milizen ließen sich ganz leicht von den Zivilisten trennen. Das ist ein Irrtum. Die Milizen sind nicht nur Kämpfer, sondern auch Familienväter. Sie haben in den Flüchtlingscamps mit ihren Frauen, ihren Kindern und ihren Eltern gelebt. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, daß nicht viele der Familien auch freiwillig bei ihren Männern bleiben, um sie zu schützen.

Die EU-Minister haben die Entwaffnung der Milizen gefordert. Widerstandslos werden die Streitkräfte des gestürzten Regimes ihre Waffen nicht abgeben, zumal vielen in Ruanda wegen ihrer Beteiligung an den Massakern Strafprozesse und einigen von ihnen sogar die Todesstrafe drohen. Erteilt der UN-Sicherheitsrat tatsächlich ein Mandat zur Entwaffnung, dann wird den Blauhelmen kaum etwas anderes übrig bleiben, als sich ihren Weg zu den Milizen über Frauen und Kinder freizuschießen. Eine groteske Vorstellung.

Werden die Milizen aber nicht entwaffnet, dann läuft die Operation am Ende eben doch auf den Wiederaufbau der Lager hinaus. Kommen die Flüchtlinge nicht zur Nahrung, dann wird man die Nahrung zu den Flüchtlingen bringen müssen. Oder hält irgend jemand es tatsächlich für möglich, daß Blauhelme und Hilfsorganisationen tatenlos zusehen, wie Kinder am Ende des gesicherten Korridors verhungern, obwohl es möglich wäre, ihnen Essen zukommen zu lassen?

Einen Neuaufbau der Flüchtlingscamps jedoch wird die ruandische Armee nicht zulassen. Sie ist gewiß nicht über die Grenze marschiert und hat Goma und Bukavu als Stützpunkte erobert, um gelassen der Wiederherstellung des Status quo ante zuzusehen. Sollte es dazu kommen, daß die UNO- Truppen faktisch den Kräften des gestürzten Regimes helfen, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis es erstmals zu Kampfhandlungen zwischen ihnen und der ruandischen Armee kommt.

Wieder einmal besteht also die Gefahr, daß Blauhelme im Zuge eines humanitären Einsatzes zur Kriegspartei werden. Wenn der niederländische Entwicklungshilfeminister Jan Pronk am Ende der EU-Reise erklärt, die Vereinten Nationen könnten auch mit einer solchen Stärke in die Krisenregion hineingehen, daß niemand wage, gegen die internationalen Truppen zu kämpfen, dann erinnert das fatal an eine ähnliche Fehleinschätzung der Situation vor Beginn des ausländischen Militäreinsatzes in Somalia.

Ein Ausweg aus der Krise kann nicht auf militärischem, sondern nur auf politischem Wege gesucht werden. So verständlich es auch sein mag, daß sich die ruandische Regierung zu Militäroperationen in Zaire entschlossen hat, so eindeutig stellen diese Operationen andererseits einen Bruch des Völkerrechts dar.

Die internationale Staatengemeinschaft muß jetzt Druck auf die Regierung in Kigali ausüben. Es darf unter keinen Umständen dazu kommen, daß eine klare Verletzung der territorialen Integrität eines anderen Staates nicht nur hingenommen wird, sondern denen, die sie begangen haben, auch noch den Erfolg bringt, den sie sich davon erhofften.

Bislang aber hat sich von unabhängiger Seite keine einzige Stimme des Protests gegen den Einmarsch der ruandischen Armee in Zaire erhoben. Im Gegenteil, die Fiktion wird aufrecht erhalten, daß es sich bei den siegreichen Streitkräften, die die zairischen Grenzstädte erobert haben, um eine rein innerzairische Rebellenbewegung handelt. Daß bisher übrigens weder über Stärke noch über genaue Zusammensetzung der an den Kämpfen beteiligten zairischen Rebellen gesicherte Informationen vorliegen, macht den Einsatz der UNO-Truppen nicht einfacher.

Die gesamte Situation ist ebenso komplex wie verfahren. Auf internationaler Ebene hat es seit Ende des ruandischen Bürgerkrieges keine ernstzunehmenden politischen Initiativen für eine Lösung des Flüchtlingsproblems in Zaire gegeben. Das rächt sich jetzt. Was immer die internationale Staatengemeinschaft nun auch unternimmt – für viele der Kriegsvertriebenen dürfte jede Hilfe zu spät kommen. Als erste sterben immer die Alten und die Kinder. Bettina Gaus