Subventionsritter in der Klemme

Serie „Industriestadt auf dem Prüfstand“ (Folge 5): Nachdem Kaffee-, Kakao- und Zigarettenfabriken jahrelang Subventionen erhielten, wollen sie nun Umweltauflagen aushebeln oder den Standort aufgeben  ■ Von Hannes Koch

Kaffeeduft kommt gut – wenn die Kaffemaschine brodelt und der Tag bald losgehen kann. Der Hauch des Erwachens wird aber zum Mief, wenn er stundenlang von draußen durch die Fensterritzen nach innen dringt. Die AnwohnerInnen der Jacobs-Kaffeefabrik im Bezirk Neukölln können ein Lied davon singen.

Bei Beschwerden der gebeutelten Fabrik-Nachbarn ziehen dann professionelle ABM-SchnüfflerInnen des Senats los. Sie halten ihre Nase in den Wind und prüfen, ob es stinkt. Stellt die wiederholte Fahndung fest, daß mehr als 15 Tage pro Jahr spürbarer Geruch in der Luft hängt, gibt es einen Sturm in der Kaffeetasse. Die Umweltverwaltung wird beim Fabrikchef vorstellig und weist auf die „Geruchsemissions-Richtlinie“ hin. Da steht drin, wie oft eine Kaffeefabrik öffentlich ausdünsten darf.

„Nicht schön, aber man muß damit leben“, meint Stefan Preussler, Sprecher von Kraft-Jacobs-Suchard in Bremen. Drei Millionen Mark habe die biologische Filteranlage gekostet, die demnächst fertig werde. Karlheinz Rieser von der Berliner Instant Kaffeewerk GmbH macht mehr Druck: „Einer unserer Gesellschafter hat die Fertigung teilweise nach Hamburg verlagert.“ Dort würden die Behörden keinen teuren Öko- Schnickschnack verlangen.

Ein normaler Konflikt zwischen Staat und Wirtschaft um Umweltauflagen? Auch woanders würden sich Beamte und Lobbyisten streiten, doch im Nach-Wende-Berlin der neunziger Jahre hat die Affäre eine besondere Brisanz. Die Stadt ist das Zentrum der bundesdeutschen Kaffeeproduktion. In diese Position ist sie aber nur gelangt, weil das staatliche Füllhorn früher horrende Subventionen ausschüttete, die mittlerweile komplett gestrichen wurden. Nachdem es keine Geschenke mehr gibt, müssen die Firmen ihr Geld wieder selbst verdienen. Wo es nur geht, versuchen sie Kosten zu drücken – wenn notwendig mit Abwanderungsdrohungen.

Eingeritten sind die Subventionsempfänger zumeist in den fünfziger und sechziger Jahren. Nicht nur die Kaffee- und Schokoladenfirmen fanden hier ihr Fördermekka. „Auch die Zigarettenfirmen kamen in erster Linie wegen der Suventionen“, weiß Axel Thiede von der Wirtschaftsverwaltung. Nach seinen Angaben wurden zeitweise 80 Prozent der bundesdeutschen Kaffee-, 60 Prozent der Zigaretten- und fast 90 Prozent der Kakaoproduktion an der Spree abgewickelt.

Angelockt wurden die Firmen durch die Berlinförderung, die der ausblutenden Halbstadt neue Arbeitsplätze bescheren sollte. Das funktionierte leidlich, zeitigte jedoch unbeabsichtigte Nebenwirkungen. Die Struktur der Subventionen bevorzugte die kapitalintensive Fließbandfertigung einfacher Massenprodukte. Bei komplizierteren Produktionsabläufen war der Subventionsertrag geringer. Also kamen nicht High-Tech- Herstellungen, sondern vor allem ausgereifte Massenproduktionen wie Kaffee, Kakao und Zigaretten. Als Nachteil der „verlängerten Werkbänke“ stellte sich dabei heraus, daß die Firmen ihre Zentralen und meist auch ihre Entwicklungsabteilungen im Westen ließen. Hochqualifizierte Arbeitsplätze für IngenieurInnen und AkademikerInnen der Dienstleistungsbranchen blieben deshalb Mangelware.

Gar seltsame Blüten trieb das Subventionswesen im Berlin der Mauerzeit. Bis zu 250.000 Mark pro Arbeitsplatz und Jahr spülte die Förderung noch in den 80er Jahren in so manche Unternehmenskasse – das Dreifache der Lohnkosten. Manche Produkte gab es auch nur, weil sie subventioniert wurden, weiß Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. So machte erst die staatliche Förderung den Verkauf von Schokoladen-Rohmasse rentabel. Ein Knüller ist auch das Schweine-Beispiel: Eine westdeutsche Firma verfrachtete Schweinehälften durch die DDR, um ihnen in Berlin die Ohren abschneiden zu lassen. Trotz sofortigen Rücktransports nach Westen ließen die Steuerpräferenzen die Kassen klingeln.

Als die Bundesregierung ihre milliardenschwere Unterstützung nach dem Fall der Mauer abschaffte, war das Klagen in der Ernährungs- und Tabakbranche groß. Viele Konzerne gingen den einfachsten Weg: Ohne Federlesen schlossen sie ihre Berliner Produktionsstätten und verlagerten die Fertigung in andere Werke. So hat die Austria-Tabakfabrik das Weite gesucht. 170 Beschäftigte wurden arbeitslos. Der Zigarettenhersteller Rothmans vernichtete 600 Jobs.

Kraft-Jacobs-Suchard schloß seine 1990 eröffnete Schokoladenfabrik in Neukölln schon fünf Jahre später. „Ohne Steuerpräferenzen ist der Standort unattraktiv“, weiß Sprecher Preussler. Der Konzern verlagerte die Herstellung der „Milka Lila Pause“ nach Lörrach. Außerdem produziert man nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus jetzt auch in Litauen, Polen und Rumänien – Staaten, die ursprünglich von Westberlin aus beliefert werden sollten.

Mit knapp 20.000 Beschäftigten ist die Ernährungs- und Tabakbranche hinter der Elektroindustrie heute trotzdem noch der zweitgrößte Industriesektor Berlins. Von 221 Milliarden in der Bundesrepublik hergestellten Zigaretten laufen 1996 noch 100 Milliarden von Berliner Bändern.

Die zurückgebliebenen Firmen lassen sich ihre Gewinne freilich weiterhin fremdfinanzieren – wenn nicht vom Staat, dann von den Beschäftigten. Wenn schon nicht Subventionen zum Profit beitragen, senkt man die Lohnkosten oder steigert die Produktivität. Die Belegschaft des Sarotti-Schokoladenwerks (Nestlé-Konzern) hat es gerade erlebt.

„Wir standen auf der Kippe“, erinnert sich der Betriebsrat Arno Zorn. Die Konzernleitung hatte die Produktionskosten mit Nestlé- Werken in anderen Staaten verglichen und für Berlin festgestellt: „Zu hoch“. Um die Fabrik vor der Verlagerung zu retten, stimmte der Betriebsrat schließlich einer neuen Betriebsvereinbarung zu: Nachtschichten ohne Genehmigung der ArbeitnehmervertreterInnen, Senkung des Nachtzuschlags von 50 auf 30 Prozent des Stundenlohns. Das ist aber nicht das einzige „Klavier, das die Leitung spielt“, sagt Betriebsrat Zorn. In den Stoßzeiten der Weihnachts- und Osterproduktion werden externe Firmen beauftragt, an den Bändern von Sarotti die Verpackung von Pralinen zu gewährleisten. Diese flexiblen Firmen sind wesentlich billiger als die zu Tariflohn beschäftigten ArbeiterInnen von Sarotti und könnten diese mittelfristig auch ersetzen.

Als weiteres Mittel zur Kostenreduzierung haben die Firmen gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer seit geraumer Zeit die Energiekosten ins Visier genommen. Man bestürmt die Bewag, den Strompreis für Großkunden zu senken. Mit Erfolg: Anfang 1997 will der Strommonopolist zum dritten Mal in Folge den Preis um fünf Prozent reduzieren.

Auf absehbare Zeit sieht die Ernährungs- und Tabakindustrie ihre Lage als halbwegs stabil an. Berlin bleibt Kakao- und Kippenmetropole. Umsatz und Beschäftigung sind zwar seit mehreren Jahren rückläufig, aber nicht so stark wie etwa in der Elektroindustrie. Weitere Stillegungen großer Werke werden einstweilen nicht erwartet. Doch Instant-Kaffee-Geschäftsführer Karlheinz Rieser warnt: Ob der nächste Investitionszyklus mit neuen Maschinen in Berlin oder woanders realisiert werde, „hänge von den Kosten ab“. Noch gibt es die Geruchsemissions-Richtlinie. Aber wie lange?