Laserschüsse aus der Steckdose

■ Seit 40 Jahren gibt es die Telefonseelsorge Berlin. Vor allem, weil sich Leute wie Dorothee die Nächte um die Ohren schlagen. Kein Job für depressive Menschen

Um Mitternacht läßt Dorothee das Telefon einfach klingeln und zieht kurz Bilanz: Eine Frau will seit Jahren von ihrer Tablettensucht loskommen – und ist wieder rückfällig geworden. Ein Mann hat gerade seinen Job verloren. Ein paar Leute haben einfach geschwiegen und wieder aufgelegt. „Fünf Stunden lang telefoniere ich schon fast ohne Pause“, sagt sie. Dorothee ist eine von 96 freiwilligen MitarbeiterInnen der Telefonseelsorge Berlin. Seit elf Jahren schlägt sie sich einmal im Monat eine Nacht um die Ohren. Sie spricht mit Leuten, die sich umbringen wollen. Sie spricht mit Leuten, die sich einen runterholen wollen. Und manche wollen „nur mal wissen, wieviel Uhr es ist“.

Für die HelferInnen in der Telefonseelsorge ist Diskretion oberstes Gebot. Auch über ihre eigene Person schweigen sie sich aus. Um sich einen Sicherheitsabstand zu bewahren, erzählen sie in der Regel nur engen Freunden, daß sie in der Telefonseelsorge arbeiten. Dadurch entstand in der Öffentlichkeit ein schiefes Bild von der „typischen Mitarbeiterin“. Geschäftsführer Jürgen Hesse: „Die Leute glauben, das sind alles ältliche Damen, die nach dem Gottesdienst gute Werke tun wollen.“ In Wirklichkeit sei die Bandbreite der Leute, die sich engagieren wollen, riesig. „Bei uns kann auch ein Mormone mitmachen, wenn er will“, sagt Hesse. Denn die Telefonseelsorge sei keine kirchliche Einrichtung, sondern ein Verein.

Bevor die Helfer an die Strippe gelassen werden, müssen sie sich einer einjährigen Ausbildung unterziehen. Dabei bleibt ihnen eine strenge Reflexion ihrer eigenen psychischen Verfassung nicht erspart. „Die Telefonseelsorge hat für depressive Persönlichkeiten mit Helfersyndrom eine magische Anziehungskraft“, erklärt Hesse. Die Ausbildung sei daher auch eine Auswahl. Denn nur Menschen mit einem starken Ich seien als MitarbeiterInnen geeignet.

„Die Ausbildung war für mich eine sehr gute Erfahrung. Ich kann mich und meine Grenzen besser einschätzen“, sagt Dorothee. „Seitdem spreche ich nicht mehr so gerne von helfen. Ich sage lieber, daß ich einfach da bin.“ Immer häufiger rufen Menschen bei der Telefonseelsorge an, denen mit einem Gespräch nicht geholfen ist: Sie leiden laut Jürgen Hesse an schweren psychiatrischen Störungen. „Da erzählt einer zum Beispiel, daß ihn sein Nachbar mit Laserstrahlen aus der Steckdose beschießt“, erzählt er. Hier könne man nicht viel mehr tun, als „Anwalt der Realität zu sein“ und den Anrufer behutsam mit der Wirklichkeit konfrontieren. Christoph Schäfer