Waldsterben verboten!

■ Trotz leichter Fortschritte: Laub- und Nadelhölzer gehen weiter an Schadstoffen zugrunde. Jetzt sollen statistische Tricks die Bäume retten Von Gerd Rosenkranz

Waldsterben verboten!

Keine Entwarnung für den Wald, aber erste positive Signale dort, wo der hausgemachte Giftcocktail die Bäume nur noch in verdünnter Form traktiert. Das ist der Grundtenor der aktuellen Waldstatistik. Sie wurde gestern vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Bonn präsentierte.

Nach den aus den jährlichen Walderhebungen der Bundesländer zusammengetragenen Daten kränkeln derzeit bundesweit 37 Prozent der Bäume. Das sind zwei Prozent weniger als 1995. „Deutlich geschädigt“ sind weitere 21 Prozent der Wälder, ein Prozent weniger als vor Jahresfrist.

Die leichte Erholung geht vor allem auf das Konto der neuen Bundesländer, sagt der BUND- Waldexperte Helmut Klein. Begünstigt durch die seit einigen Jahren anhaltende feuchte Witterung schlägt sich dort der Zusammenbruch der emissionsintensiven DDR-Schwerindustrie ebenso wie die seit Anfang der achtziger Jahre erzielte Luftreinhaltepolitik im Westen deutlich nieder.

Zur Selbstzufriedenheit gibt es nach Überzeugung des BUND- Vorsitzenden Hubert Weinzierl dennoch keinerlei Anlaß. Der Wald sei nach wie vor „in alarmierender Weise geschädigt“, er gehöre „weiter auf die Intensivstation“. Tatsächlich hat sich der Waldzustand in den alten Bundesländern durchweg weiter verschlechtert. Eine Ausnahme bildet Bayern, wo die Förster eine erhebliche Verbesserung gegenüber dem Vorjahr ausmachten.

Eine alarmierende Tendenz weisen seit Jahren insbesondere die Schäden an den Laubbäumen auf. Jede zweite Eiche und jede dritte Buche sind deutlich geschädigt – Tendenz steigend. Klein sieht darin und in der allmählichen Erholung der Nadelhölzer besonders im Osten Deutschlands einen „eindrucksvollen Beleg für die Rolle der Luftschadstoffe als Baumgifte“.

Vor allem DDR-Forstwissenschaftler hatten in den achtziger Jahren die These vertreten, Nadelbäume reagierten besonders empfindlich auf Schwefeldioxid, Säure und Schwermetalle, also Schadstoffgemische vom „Kraftwerkstyp“. Laubbäume dagegen würden besonders von Mischungen vom „Kraftfahrzeugtyp“, also von Stickoxiden und Ozon, traktiert. Die Hypothese scheint sich nun zu bestätigen: Die Schwefeldioxidemissionen sanken dank des politisch erzwungenen Einbaus von Rauchgasentschwefelungsanlagen in die Großkraftwerke und des industriellen Zusammenbruchs im Osten gegenüber Anfang der achtziger Jahre um fast drei Viertel.

Die Stickoxid- und Ozonbelastungen gehen dagegen vor allem wegen der wachsenden Verkehrslawine nur sehr zögerlich zurück.

Der Waldexperte Klein weist auf zwei Alarmzeichen hin, die sich in der globalen Waldschadensbilanz nicht unmittelbar niederschlagen. Zum einen zeigen aktuelle Erhebungen, daß die Versauerung der Waldböden fortschreitet – trotz der Erfolge bei der Luftreinhaltung. Inzwischen, sagt Helmut Klein, ist ein Drittel der Standorte „dramatisch“ versauert. Ein Trend, der mittelfristig die Lebensgrundlage der Wälder bedroht. Zum andern treffe das Waldsiechtum ältere Bäume viel stärker als jüngere. Europaweit seien von den sehr jungen Bäumen 37 Prozent geschädigt, von den 80 bis 100jährigen jedoch schon 69 Prozent.

Offizielle Erhebungen, die den Gesundheitszustand ausgewachsener Wälder widerspiegeln sollen, aber bei den Bäumen nicht zwischen alt und jung differenzierten, tendieren deshalb zu einer Verharmlosung der Situation.

Wenig beruhigend fallen auch die in 30 europäischen Ländern erhobenen Daten für das Jahr 1995 aus. „Auch wenn in einigen Regionen eine Verbesserung des Waldzustands beobachtet wird, die Waldschäden auf europäischer Ebene nehmen insgesamt gesehen offensichtlich zu“, zitiert der BUND den amtlichen Bericht. In Zahlen: Europaweit zeigen 35 Prozent der Waldfläche sichtbare Kronenverlichtungen bis zu 25 Prozent Blatt- oder Nadelverlust, ein weiteres Viertel ist „deutlich geschädigt“ (Blatt-/Nadelverluste von 26 bis 100 Prozent).

Angesichts derartiger Daten reagieren Weinzierl und Klein empört auf aktuelle Versuche des Bonner Forschungsministeriums, die Waldschäden ab 1997 mit Hilfe einer Revision der offiziellen Waldstatistik „schönzulügen“. Weinzierl wettert: „Wenn Forschungsminister Jürgen Rüttgers mit diesem Unfug Erfolg hätte, würde er als einer der größten Wunderheiler aller Zeiten in die Kulturgeschichte der Quacksalberei eingehen.“ Erste Aufgabe der Bundesregierung sei es, die weiterhin anschwellende Verkehrslawine zu bremsen.

In den vergangenen Monaten hatte eine Debatte über das Waldsterben unter umgekehrten Vorzeichen die Naturschützer aufgeschreckt. Ausgelöst durch eine Studie des Europäischen Forstinstituts (EFI), wonach die Bäume heute in weiten Teilen Europas erheblich schneller wachsen als noch vor 50 Jahren, hatten Autolobbyisten und einige Zeitungen mit großem Hallo das Ende des Waldsterbens verkündet und die Sorge um den Wald als „landestypische Untergangsromantik“ von Umweltschützern denunziert.

Tatsächlich ist das in der EFI- Studie erstmals europaweit erhobene abnorme Waldwachstum unter den Forstexperten seit zwanzig Jahren bekannt. Meist wird das sogenannte „Zuwachsparadoxon“ mit der Düngewirkung der „hausgemachten“ Stickstoffeinträge erklärt, die die natürlichen Stickstoffimmissionen in Deutschland um ein bis zwei Größenordnungen übersteigen. Auch die Zunahme des Treibhausgases Kohlendioxid, mildere Winter und ein verändertes „Waldmanagement“ kommen als Auslöser des Wachstumsschubs in Frage.

Das Bonner Landwirtschaftsministerium erklärt kategorisch, die Zunahme des Holzwachstums lasse „keinen Rückschluß zu auf eine damit angeblich wiedererlangte Vitalität der Wälder“.

So ähnlich sieht es auch Hubert Weinzierl: Die Waldschäden lassen sich weder mit neuen Studien wegforschen noch mit Statistiktricks beseitigen. Für BUND-Chef Weinzierl steht fest: „Was Wälder und Menschen brauchen, sind gesündere Luft und weniger Straßenverkehr.“