Es gab auch willige Vollstreckerinnen

■ Eine feministische Sicht auf die männliche Goldhagen-Debatte

Von wenigen Ausnahmen abgesehen war der aufgeregte Historiker- und Journalistenstreit über Daniel Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ eine westdeutsche Männerdebatte, während gleichzeitig die Frauen in Scharen zu den Diskussionen mit Goldhagen strömten. „Ich habe den Eindruck, daß in Westdeutschland die Historikerzunft stark männlich dominiert ist“, konstatierte die Dresdener Historikerin Nora Goldenbogen bei einer außerordentlich interessanten Podiumsrunde des Kongresses „Frauen und Antisemitismus“ in Berlin.

„,Hitlers willige Vollstrecker‘ ist ein sexistisches Buch“, formulierte es eine Teilnehmerin rundheraus. 99 Prozent des Inhalts handeln von Männern. Abgesehen von der Erwähnung einiger Aufseherinnen bei den Todesmärschen und einiger Täter-Ehefrauen, kommen Frauen bei Goldhagen nur als Opfer vor. Das Ausmaß männlicher Brutalität mißt er daran, ob einer bereit war, auch „unschuldige“ Frauen und Kinder umzubringen.

Indem Goldhagen den deutschen Antisemitismus ausschließlich an den begangenen Morden festmacht, kritisierte die Sozialpädagogik-Professorin Birgit Rommelspacher, hat er sich um die Möglichkeit gebracht, auch den alltäglichen Antisemitismus zu diskutieren, der Frauen bekanntlich vielfältige Möglichkeiten bot, sich zu profilieren, zu denunzieren, sich zu bereichern. Indem der junge Historiker die Geschlechterfrage nicht thematisiert, verzichtet er auch auf die Analyse von Männlichkeitsbildern, die wesentlichen Anteil haben an der spezifischen Ausprägung des nationalsozialistischen Massenmordens.

Nora Goldenbogen rechnete vor, daß es, abgesehen von den traditionellen Aufgaben der Frauen im „Hinterland“, allein in Sachsen 71 Außenlager gab, in denen 33.000 Frauen von weiblichem Personal bewacht wurden. Mehr als 5.000 Frauen müssen also direkt an der Tötungsmaschinerie beteiligt gewesen sein.

Im Gegensatz zu Männern scheinen Frauen heute allerdings eher bereit, Goldhagens Herausforderung aufzugreifen und Verantwortung zu übernehmen, also Fragen zu stellen an die eigene Familie und darüber nachzudenken, welche Schlüsse für unser Verhalten heute zu ziehen sind. So sieht die Pädagogin Martina Emme das Goldhagen-Buch vor allem als ein moralisches, das eine längst fällige emotionale Erschütterung ausgelöst hat. Den angemessenen Umgang mit dem, was unsere Fragen zutage fördern, beschreibt Hannah Arendt: „... zu wissen und auszuhalten, daß es so und nicht anders gewesen ist, und abzuwarten, was sich daraus ergibt“.

Während alle Diskussionsteilnehmerinnen die Wirkung des Goldhagen-Buches zwar grundsätzlich begrüßten, kristallisierten sich bald Unterschiede in der politischen Bewertung heraus. Ob eine Jüdin ist oder nicht, spielte dabei keine Rolle. Während die jüdische Historikerin Goldenbogen in der aufgeregten Debatte den Beginn von etwas „Echtem“ sieht, das Gespräche zwischen Kindern und Enkelkindern von Tätern und Opfern möglich macht, sprach die jüdische Schriftstellerin Esther Dischereit von der Sehnsucht nach Katharsis der Deutschen, die Goldhagen mit seiner globalen Schuldzuweisung bedient und damit erneut von der Konkretion abgelenkt habe. „Durch die Monokausalität von Goldhagen kann die Frage nach dem eigenen Verhalten nicht gelöst werden.“

Persönliche Geständnisse durften nicht fehlen

Wie stets bei Diskussionen unter Frauen durfte auch in dieser Runde das persönliche Geständnis nicht fehlen. Zwei IMs outeten sich, und zwei Täterkinder sprachen mit erstickter Stimme von ihrer Scham. „Nicht alle Opfer können mit allen Geständnissen umgehen“, wies Esther Dischereit die Zumutung zurück.

Zwar soll es ja sein, daß nun endlich auch die Nachkommen der TäterInnen ihre Trauer und ihre Wut ausdrücken, doch die Wahl des Anlasses und des Rahmens sollte Teil der von Martina Emme angemahnten „Kultur der Empfindsamkeit“ sein. Die narzißtische Ausbreitung der eigenen „Betroffenheit“ macht beklommen und blockiert Kritik. Was sollte man schließlich einer Pädagogin antworten, die über ihr Leiden an einem „diffusen Schuldgefühl“ klagte, das selbst eine Reise mit der katholischen Jugend nach Israel nicht bannen konnte? Und die sich gleichzeitig weigert, in ihrer Familie zu „kramen“? Sie selbst hat die Lösung ihres Dilemmas allerdings schon gefunden: „Ich mache jetzt Politik.“ Daß es genau so nicht geht, haben die vergangenen 50 Jahre eindrücklich bewiesen. Aber auch auf den am Ende der Tagung vorgebrachten pathetischen Vorsatz „...daß Auschwitz nicht noch einmal sei“ würde ich angesichts der Realitäten von Bosnien und Ruanda lieber verzichten. Erica Fischer