Ein Dorf – auf NS-Unrecht gebaut?

■ Potsdamer Gericht verhandelt Pilotverfahren um die Rückübertragungsansprüche einer jüdischen Familie

Potsdam (taz) – Teltow-Seestadt liegt gleich hinter der Stadtgrenze Berlins. Bis zur Wende 1989 wohnten dort die ganz Sattelfesten der DDR – oder Menschen, die bereits zwischen 1933 und 1939 Baugrund erworben hatten. Damals kauften sie die Parzellen von der Familie des Max Saberski. Seit gestern wird vor dem Potsdamer Verwaltungsgericht über genau diese Idylle verhandelt.

Denn die Saberskis sind Juden und glauben, daß sie einen Anspruch haben, ihre Besitztitel wieder zurückzubekommen. 19 Nachkommen des Max Saberski haben 4 Berliner Anwälte damit beauftragt, ihre Rechte zu vertreten. Zur Verhandlung standen gestern erst 11 der 850 Grundstücke. Die Anwälte klagen gegen einen Beschluß des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen (Arov). Im März diesen Jahres hatte das Amt die Rückgabe des Landes an die jüdische Familie verweigert. Denn der Fall ist knifflig.

Nach dem Vermögensgesetz ist jüdisches Eigentum, das zwischen dem 1. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 verkauft worden war, grundsätzlich zurückzuerstatten. Soweit träfe das Begehren der Saberski- Nachkommen zu. Doch es gibt bei dieser gesetzlichen Bestimmung Ausnahmen. Beispielsweise, wenn für die Immobilie ein angemessener Kaufpreis gezahlt wurde oder der Verkäufer über den Verkaufserlös verfügen konnte. Auf eben diese Ausnahmegründe stützte sich das Amt in seiner Entscheidung.

In der gestrigen Verhandlung führten die Beigeladenen – also die jetzigen Bewohner der Häuser und deren Erben – an, daß die Grundstücke sowohl nach marktüblichen Preisen bezahlt wurden und sie diese Beträge auch regelmäßig an die Verkäufer überwiesen haben. Der Quadratmeterpreis von etwa 4,50 RM enspricht dem damals üblichen Rahmen für Berliner Vorstadtgrundstücke, so recherchierte das Arov.

Somit könne von einer Pression keine Rede sein. Problematisch könnte sich für die Klägerseite auch auswirken, daß sie ihre Grundstücke in Teltow bereits lange vor der NS-Machtübernahme verkaufen wollten.

Das Urteil, das nach Ansicht des Vorsitzenden Richters möglicherweise erst in einigen Jahren gesprochen werden kann, könnte immense Folgen haben. Allein beim Potsdamer Verwaltungsgericht sind noch rund 1.200 Verfahren mit Rückübertragungsansprüchen anhängig. Außergewöhnlich ist am Falle von Teltow-Seestadt, daß es um die Restitution eines ganzen Dorfes geht.

Vorsorglich haben die Anwälte der Erbengemeinschaft schon vor Wochen den jetzigen Hausbewohnern, auch solchen, die ihre Häuser im redlichen Sinne erworben haben, Beträge zwischen 10.000 und 15.000 Mark angeboten, die sie bekommen könnten, wenn sie ihre Ansprüche vor Gericht nicht durchsetzen würden.

Darüber hinaus bleiben die Ansprüche jener Menschen gültig, die in den betreffenden Häusern einmal wohnten und aus der DDR flüchteten. Das sind weitere 500 Menschen. Die gesamte Siedlung hätte, müßte sie ein Investor auf dem freien Immobilienmarkt kaufen, einen Wert von über zwei Milliarden Mark. Die Anwälte haben angekündigt, auf jeden Fall alle Revisionsmöglichkeit ausschöpfen zu wollen. Jan Feddersen