Opposition formiert sich neu

■ Der ehemalige Vizepräsident des weißrussischen Verfassungsgerichts, Michail Pastuchow, über seinen Rücktritt, Perspektiven der Opposition und die Rolle Moskaus

Michail Pastuchow war Vizepäsident des weißrussischen Verfassungsgerichts. Vor wenigen Tagen reichte er, aus Protest gegen das Verfassungsreferendum, seinen Rücktritt ein. Von elf Verfassungsrichtern sind mittlerweile sieben zurückgetreten. Das oberste Gericht Weißrußlands hat de facto seine Arbeit eingestellt.

taz: Warum sind Sie zurückgetreten?

Michail Pastuchow:Die Verfassung von 1994 wurde unter Verletzung der geltenden Gesetze außer Kraft gesetzt. Nach der neuen, illegitimen Verfassung ist das Verfassungsgericht vollständig dem Präsidenten unterstellt. Er ernennt die Hälfte der Richter und den Vorsitzenden. Deshalb kann das Gericht seine Funktion als unabhängiges Kontrollorgan nicht mehr erfüllen. Es wird künftig keine Rolle mehr spielen. Deshalb hat es für mich keinen Sinn mehr, weiter als Verfassungsrichter zu arbeiten.

Sie sagen, daß die Verfassung per Gesetzesbruch ausgehebelt wurde. In einem Artikel der Moskauer Wochenzeitung „Literaturnaja Gazeta“ wurde unlängst die These vertreten, daß, ungeachtet vieler Ungereimtheiten in Zusammenhang mit dem Referendum, trotzdem die Mehrheit der Bevölkerung für die neue Verfassung und damit für Lukaschenko gestimmt hat.

Ein Viertel der Wähler hat vor dem eigentlichen Wahltag abgestimmt. Was übrigens ebenfalls gegen die geltenden Gesetze verstößt. Am Tag der Abstimmung haben in der Zeit von 18 bis 22 Uhr nach offiziellen Angaben 25 Prozent der Wähler ihre Stimme abgegeben. Bei allen anderen Abstimmungen lag die Wahlbeteiligung gerade in den Abendstunden immer sehr niedrig. Bei den letzten Parlamentswahlen von 1995 haben neun Prozent der Wähler in dieser Zeit abgestimmt. Diese beiden Gruppen machen zusammen 50 Prozent der Wähler aus. Deshalb sind doch wohl berechtigte Zweifel an der Behauptung angebracht, daß die Mehrheit für die neue Verfassung gestimmt hat.

Welche Chancen hat jetzt noch die weißrussische Opposition?

Die Bedingungen für die Opposition sind schlechter geworden. Aber es sind Aktivitäten sichtbar, wenn auch nur in begrenztem Maße. Die Opposition formiert sich neu und arbeitet ein Programm aus. Bei einem Treffen haben der Präsident und der Vizepäsident des alten Parlaments dazu aufgerufen, die Verfassung von 1994 zu verteidigen. Überhaupt muß der Kampf für Demokratie unter den derzeitigen Bedingungen der Kampf für die Verfassung von 1994 sein. Trotz der begrenzten Möglichkeiten wird wird sich der demokratische Prozeß in Weißrußland weiter entwickeln.

Die westlichen Staaten haben, wenn auch spät, scharf gegen das Referendum protestiert. Nur Rußland hat die Abstimmung anerkannt und damit Lukaschenko den Rücken gestärkt. Was steckt dahinter?

Zu dieser Frage möchte ich mich nicht äußern. Nur soviel: Die politischen Kreise in Rußland, die Lukaschenko unterstützen, haben dabei wohl bestimmte Perspektiven im Blick. Allerdings ist auch zu sagen, daß das Referendum nur auf höchster Ebene anerkannt wurde. Andere offizielle Verlautbarungen gab es nicht. Wahrscheinlich werden in dieser Frage in Rußland auch andere Meinungen vertreten, vor allem von seiten der demokratischen Duma-Abgeordneten. So zum Beispiel der Duma-Abgeordnete Borowoj. Er ist nach Weißrußland gereist und hat zu dieser Frage eine etwas andere Meinung.

Wie sieht, nach dem Rücktritt, Ihre persönliche Zukunft aus?

Das kann ich noch nicht genau sagen. Ich habe meinen Rücktritt beim alten Parlament eingereicht, die einzige legitime Volksvertretung. Der Oberste Sowjet hat den Rücktritt aber noch nicht angenommen. Doch egal wie die Antwort ausfällt: Unter diesen Bedingungen stehe ich nicht mehr zur Verfügung. Interview: Barbara Oertel