Ein Magazin im Dienst des Bundeskriminalamts

■ Ein „Stern“-Korrespondent lieferte seinen Informanten aus dem BKA an die Staatsanwaltschaft aus. Laut Anklageschrift stimmte die Redaktion ausdrücklich zu

Die Affäre des Stern-Mitarbeiters Rudolf Müller wird mehr und mehr zu einer Affäre des Stern. Der frühere Frankfurt-Korrespondent des Hamburger Magazins hatte im März 1994 brisante Dossiers aus dem Bundeskriminalamt, die der Stern-Redaktion anonym mit der Post zugegangen waren, samt Originalbriefumschlägen in die Wiesbadener Polizeizentrale zurückgetragen (vgl. taz vom 9. Oktober). Auf einer Briefmarke entdeckte die BKA-Kriminaltechnik Speichelspuren, die später einem Kriminalhauptkommissar aus der Antiterrorismusabteilung des BKA (Referat TE 11) zugeordnet werden konnten und inzwischen als Grundlage für eine Anklage wegen Geheimnisverrat und Bestechlichkeit gegen ihn dienen.

Die lancierten Unterlagen enthielten vor allem Behördeninterna im Zusammenhang mit der blutig gescheiterten Antiterroraktion von Bad Kleinen im Juni 1993 und Informationen über die Rolle des an die „Rote Armee Fraktion“ (RAF) herangeschleusten V- Manns Klaus Steinmetz. Im Sommer 1993 hatte der anonyme Informant, der auch den Focus und später die taz mit Geheimpapieren versorgte, für ein umfangreiches Infopaket („Die Wahrheit über Bad Kleinen“) fünfstellige DM-Beträge gefordert. Laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wiesbaden gegen den BKA-Beamten Dirk L., die der taz vorliegt, war die Hamburger Stern-Redaktion über die Zulieferdienste ihres früheren Korrespondenten Müller vorab im Detail informiert. Weil der Stern zunächst an einer „vertraulichen Behandlung der Angelegenheit interessiert“ gewesen sei und eine Identifizierung des Adressaten (also des Stern, d. Red.) verhindern wollte, sei „auf dem Briefumschlag das Adressenfeld herausgeschnitten“ worden. Den hatte Müller Anfangs nur als Kopie an das BKA geliefert.

Das reichte der internen Ermittlungsgruppe des BKA (Behördenjargon: „Hauskapelle“) jedoch nicht. Der inzwischen ausgeschiedene BKA-Pressesprecher Willi Terstiege bat den Stern deshalb um Nachlieferung der Originale. Nach „redaktionsinterner Erörterung“, heißt es in der Klageschrift gegen den seit Anfang 1995 vom Dienst suspendierten Kriminalhauptkommissar L., habe sich die Stern-Redaktion dann bereit erklärt, dem Bundeskriminalamt auch die Originalbriefumschläge zur kriminaltechnischen Untersuchung „zur Verfügung zu stellen“. Die Staatsanwaltschaft bestätigt damit Müller, der den Vorgang bei seinen Zeugenvernehmungen so dargestellt hatte.

Auf mehrfache Nachfragen der taz hatte Stern-Chefredakteur Werner Funk Mitte Oktober zunächst bedauernd mitgeteilt, die „in der Sache kundigen“ Herren Michael Seufert (stellvertretender Chefredakteur) und Thomas Osterkorn (Ressortleiter Deutschland aktuell) seien „derzeit nicht erreichbar“. Nach Rückkehr aus dem Urlaub und weiteren telefonischen und schriftlichen Anfragen teilte Osterkorn nun bündig mit, er werde Fragen nach der Rolle des Stern bei der Auslieferung eines Informanten an die Strafverfolgungsbehörden „nicht beantworten“. Begründung: Er wolle auch „im Strafverfahren (gegen Dirk L., d. Red.) über innerredaktionelle Vorgänge keine Angaben machen.“ Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden will Osterkorn als Zeugen vernehmen.

Gesprächiger zeigte sich Osterkorn an einem anderen Punkt. In einem von Rudolf Müller verfaßten Beitrag — Titel „Verraten und verkauft“ — hatte der Stern im Januar 1995 über die BKA-interne Suche nach der undichten Stelle im eigenen Hause berichtet. In dem Artikel, der entgegen den Stern- Regeln nicht namentlich gezeichnet war, hatte das Blatt suggeriert, Umschlag nebst Briefmarke seien der Staatsanwaltschaft „offenbar“ im Januar 1994 bei einer Durchsuchung der Münchner Focus-Redaktion in die Hände gefallen.

Postzuträger Müller hat inzwischen mitteilen lassen, er habe diese Passage des Artikels „nicht zu verantworten“, was Osterkorn gegenüber der taz bestätigt. Der entsprechende Absatz sei in der Hamburger Zentralredaktion eingefügt worden, und zwar auf der Grundlage einer dpa-Meldung vom 12. Januar 1995. Darin hatte es unter Berufung auf den ermittelnden Wiesbadener Oberstaatsanwalt Wolfgang Greth tatsächlich geheißen, „Hinweise auf die Verdächtigen“ hätten sich bei der Durchsuchung der Focus- Redaktion ergeben.

In Wirklichkeit hatte nicht das bei Focus gefundene Material, sondern allein der Umschlag aus der Stern-Redaktion im BKA monatelange hektische Aktivitäten ausgelöst. Fast drei Dutzend Mitarbeiter und ein leitender BKA-Beamter waren ultimativ aufgefordert worden, Speichelproben und Fingerabdrücke abzuliefern. Dagegen wehrte sich die Mehrzahl der Betroffenen über zwei Gerichtsinstanzen, ehe sie im Oktober 1994 die Prozedur über sich ergehen lassen mußten. Der Stern berichtete in dem genannten Artikel auch hierüber. Schwer vorstellbar, daß bei den Recherchen die eigene Rolle in dieser Auseinandersetzung nicht zur Sprache kam. Osterkorn machte gegenüber der taz keine Angaben darüber, warum in dem Beitrag die Autorenzeile fehlte. Nach der taz-Veröffentlichung vom 9. Oktober herrschte weitgehend Schweigen im deutschen Blätterwald.

Lediglich Focus-Chefredakteur Helmut Markwort jubelte über „den Schuft vom Stern“, der nun entlarvt sei. (Markwort unterschlug allerdings, daß die Staatsanwälte bei der Durchsuchung seiner Redaktion tatsächlich praktisch alles gefunden hatten, was sie suchten — mit Ausnahme der Briefumschläge, die man selbst in München nicht ein halbes Jahr aufbewahrt hatte). In Konkret wunderte sich Oliver Tolmein über zweierlei: Erstens, „daß die 4. Staatsgewalt der 3., der Exekutive, so engagiert zur Hand geht, daß sie sogar Informanten ans Messer liefert.“ Und zweitens, daß die taz-Recherche anderen Medien keine Erwähnung wert gewesen sei. Gerd Rosenkranz