■ „Stern“-Affäre: Wenn Redakteure Informanten verraten
: Am Nerv der Pressefreiheit

Der Vorgang war fast schon Routine, die Aufregung gemessen daran riesig. Als Ende August staatsanwaltliche Rollkommandos in Bremen vier Redaktionen nach einem internen Behördenpapier durchsuchten, um eine undichte Stelle im Beamtenapparat zu stopfen, schlugen die Medien Alarm. Ein Nerv schien getroffen. Einträchtig empörten sich Zeitungsverleger und Journalistenverbände über „staatliche Willkür“ und die arrogante Unbekümmertheit, mit der die Justizbehörden das journalistische Zeugnisverweigerungsrecht immer häufiger dem Schutz der Obrigkeit vor einer allzu neugierigen Öffentlichkeit opferten. Gut gebrüllt, Kollegen – und nicht ohne Echo. Im Bundestag sind sich alle Parteien im Grundsatz einig, daß die Redaktionen vor derlei Übergriffen geschützt werden müssen. Die Presse kann ihre Aufgabe, Mißstände ans Licht zu zerren, nicht mehr erfüllen, wenn Informanten mit ihrer Enttarnung rechnen müssen. Staatsanwaltliche Redaktionsbesuche gehen letztlich an die Substanz einer demokratischen Presse.

Und dann das: Ein früherer Redakteur des Stern tut ohne Not alles, einen ihm unbekannten Informanten ausgerechnet jener Behörde auszuliefern, aus deren Inneren die Interna lanciert wurden. Die Redaktion des Hamburger Magazins stimmt dem offenbar zu und legt hinterher – als es dem mutmaßlichen Informanten tatsächlich an den Kragen geht – falsche Spuren in eine konkurrierende Redaktion. Ein übler Tabubruch. Ein Journalist, der geheime Mitteilungen auf seinem Schreibtisch vorfindet, muß die Motive des Informanten nicht teilen, er kann die ihm zugespielten Fakten für Schwachsinn halten, er kann sie ignorieren oder – soweit ohne Gefährdung des Absenders möglich – vor der Verwendung auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen. Nur eines darf er unter keinen Umständen: den Informanten ans Messer liefern.

Der Fall ist zunächst ein Problem des Stern. Wer das Magazin in Zukunft mit Behördeninterna versorgt, muß damit rechnen, aufzufliegen. Da nützt es wenig, wenn sich die Verantwortlichen jetzt – ausgerechnet unter Hinweis auf das Redaktionsgeheimnis – ins Schneckenhaus zurückziehen. Es besteht verschärfter Erklärungsbedarf. Aber die Affäre ist auch ein Problem der Presse insgesamt. Erstens, weil Journalisten- und Verlegerverbände beim nächsten ungebetenen Redaktionsbesuch nicht mehr ganz so selbstgerecht mit dem Finger auf die Justizbehörden zeigen können. Zweitens, weil beklommenes Schweigen bisher praktisch die einzige Antwort auf die Veröffentlichung des Falls Müller/Stern ist. Warum wohl? Es geht nicht um Nestbeschmutzung. Es geht um die Presse in der Demokratie. Gerd Rosenkranz