GUTE LAUNE IN KNEIPEN, GRÜN FUNKELNDE EVIL-PARTIKELCHEN UND WILSON GONZALES OCHSENKNECHT
: Verfluchte Orte

VON JENNI ZYLKA

AUSGEHEN UND RUMSTEHEN

Das „Overlook“-Hotel in Colorado, in dem hellsichtige Jungen „Redrum!“ stammeln und irre Familienväter Aspirintabletten ohne Wasser zerbeißen, steht auf einem historisch fragwürdigen Platz: An diesem Ort wurden schon Jahrtausende vorher Menschen verrückt, friedfertige Indianer hackten sich plötzlich gegenseitig alles ab, wahrscheinlich hörte dort sogar der vegetarische Brontosaurus einst auf, Gras zu mümmeln, und verschlang seinen besten Herdenkumpel.

Das Phänomen des verfluchten Ortes ist also bekannt. Auch in Berlin gibt es natürlich verfluchte Plätze, an denen jahrelang immer wieder Kneipen und Restaurants eingehen, bevor man den neuen Namen überhaupt je ausgesprochen hatte. Meist liegen sie genau neben oder gegenüber von Bars, die seit Jahrzehnten ungebrochen gut laufen. Morgens sieht man die mageren Wirte der verfluchten Kneipen mit sehnsuchtsvollen Blicken zu den fetten Wirten der Trend-Kneipen hinüberschielen, die säckeweise Abfall von spendierfreudigen Gästen heraustragen und sich danach zum Geldbündelzählen in ihren Rolls setzen. An der Kottbusser Brücke hat die Kneipe „Das Schatzi“ den Krug des verfluchten Ortes vom gegenüber liegenden „Kirk Royal“ übernommen, denn Letzteres ist schon seit einer Weile überhaupt nicht mehr verflucht und brummt, genau wie die „Ankerklause“, das „Hotel“, der „Fuchsbau“ und all die anderen. Als ich am Freitagabend nachgucken wollte, ob es wenigstens im Schatzi immer noch so schön öd und leer ist, wurde ich überrascht: keine Spur von mageren Wirten, gelangweilt rauchenden Thekenkräften und solitären Gästen, die sich seit vier Stunden an einem Glas Leitungswasser festhalten! Stattdessen Stimmung, junge Leute, ein 50er-Jahre-Hit-Sensation-Sampler, zu dem ein morgenländisch aussehender Mann eifrig boppte, und eine tolle Ausstellung von Kneipenblockzetteln, auf denen Gäste versucht haben, das hinter dem Tresen hängende Hundeportrait mit Kuli nachzumalen. Es sah multikulturell und gutgelaunt aus, wie ein Tipp im Billigfluggesellschafts-Bordmagazin.

Das freut mich zwar sehr, doch die Frage bleibt: Wer ist denn jetzt dafür verflucht? Niemand? Wo bleiben all die negativen Energien? Am Samstag suchten wir im gleichen Stadtteil weiter, im „Soul Cat“ an der Reichenberger Straße tanzten ausschließlich glückliche Menschen zu hinreissend gespieltem „GypsySwing“, später guckten wir noch den Studenten im Festsaal Kreuzberg beim Bootyshaken zu, denn die „Soul Explosion“, für die ein Mann namens „Fuck“ bekanntlich immer die allerschönsten Flyer zusammenkopiert, war dort zu Gast. Aber auch hier war absolut gar nichts verflucht. Nicht, dass ich irgendetwas für esoterischen Irrglauben übrig habe, aber seit ich in dem doofen Film „The Green Mile“ sehen musste, wie der spirituell begabte Knastbruder die Leiden der Mitinsassen in Form von grünen, funkelnden, fliegenden Evil-Partikelchen einsaugt, kriege ich das Bild nicht aus dem Kopf, dass irgendwo über der Kottbusser Brücke nachts diese grünen, funkelnden Evil-Partikelchen herumschwirren. Und wenn man seine Kneipentür nicht richtig zumacht, dann kommen sie vielleicht doch noch rein. Schließlich war neulich schon mal Wilson Gonzales Ochsenknecht im „Monarch“ am Kottbusser Tor, das könnte ein Zeichen sein. Vielleicht haben sich die Partikelchen aber auch an einen Passatwind rangehängt, und versauen jetzt den Kollwitzplatz-Wuchereren das Geschäft. Ha.