Das taube Gefühl der Ziellosigkeit

NEW HOLLYWOOD Verschwunden im Schwelbrand des Filmmaterials: Das Arsenal-Kino widmet dem Regisseur Monte Hellman eine Werkschau. Spätwestern, Roadmovies, Porträts von Außenseitern

Ein kritischer Blick auf die amerikanischen Mythen war allen seinen Filmen zu eigen

VON ANDREAS BUSCHE

Der Begriff „Maverick“ stammt aus der Zeit der großen Viehbarone. Der Großgrundbesitzer Samuel Maverick war unter Geschäftspartnern dafür bekannt, seine Rinder nicht zu brandmarken. Die eigenwillige Praxis entwickelte sich schnell zum geflügelten Wort: Maverick wurde zur Bezeichnung für „wildes“ Rind; erst später wurde es zum Synonym für einen Nonkonformisten. Einer, der sich den Regeln des Marktes widersetzt. Wenn Kritiker den Filmemacher Monte Hellman heute einen der letzten Mavericks des amerikanischen Kinos nennen, bekommt der Begriff etwas von seiner ursprünglichen Konnotation zurück.

Hellmans Ruf gründet sich auf nur vier Filme, die in ihrer Geschlossenheit aber genauer als jedes andere vergleichbare Gesamtwerk die Stimmung im Amerika ab den späten sechziger Jahren einfingen: die Western „Ride in the Whirlwind“ (1965) und „The Shooting“ (1967), das Roadmovie „Two-Lane Blacktop“ (1972) – eine Art Anti-„Easy Rider“ – und das wortkarge Außenseiter-Porträt „The Cockfighter“ (1974), in denen der schwer verkannte Warren Oates erstmals in Hauptrollen zu sehen war. Die Chemie zwischen Hellman und Oates trug maßgeblich zum ikonischen Status der Filme bei. Gemeinsam schufen sie ein Oeuvre, das dem Frühwerk des anderen New-Hollywood-Dreamteams Scorsese-De Niro durchaus ebenbürtig war. Der Italowestern „China 9, Liberty 37“ war 1978 ihre letzte Zusammenarbeit.

Hellmans Verhältnis zu New Hollywood und den jungen Wilden um Dennis Hopper und Peter Bogdanovich war immer kompliziert. Seine Western verdeutlichen vielleicht am besten diese Ambivalenz. Auch wenn „Ride in the Whirlwind“ und „The Shooting“ zeitlich bereits in die Phase des Spätwesterns fielen – in Romuald Karmakars Video-Doku „Hellmann Rider“ fällt auch der Begriff Anti-Western –, standen sie formal noch in der klassischen Tradition des Genres. Hellman zeigt eine starke Verbundenheit mit der mythisch aufgeladenen Landschaft des amerikanischen Westens, wenn auch als Negativprojektion. Dem Freiheitsversprechen des Westerns begegnete er mit großer Skepsis. Und wenn er dieses Versprechen später in „Two-Lane Blacktop“ an den gesellschaftlichen Realitäten der siebziger Jahre testete, zog sich der schwarze Asphaltstreifen wie eine Demarkationslinie durch die Landschaft.

Hellmans Helden verschwinden am Ende in einer Schwarzblende oder wie in „Two-Lane Blacktop“ im Schwelbrand des Filmmaterials. Ein kritischer Blick auf die amerikanischen Mythen war allen seinen Filmen zu eigen. „Monte hat sich niemals ausverkauft“, sagt sein Freund Harry Dean Stanton in George Hickenloopers Porträt „Monte Hellman: American Auteur“. „Genau genommen hat Monte nie Geld gemacht.“

Das unterscheidet ihn von Scorsese, Demme, Coppola und Nicholson, die später in Hollywood Erfolge feierten. Hellman hat den großen Sprung nicht geschafft, auch weil seine Art des Filmemachens mit dem Niedergang von New Hollywood langsam ausstarb. Für „The Cockfighter“ war er monatelang durch den amerikanischen Süden gereist, um die Subkultur der Hahnenkämpfer zu studieren. Viele der Beteiligten tauchten später im fertigen Film auf. Seine Drehbücher ließ er von mehreren Autoren schreiben, um die Vielstimmigkeit seiner Figuren zu bewahren.

In einer lesenswerten Monografie zu Hellman entwirft der Autor Brad Stevens die zentrale These, dass Hellman in seinen Filmen weniger Genres und Mythen demontiere als vielmehr das Bild amerikanischer Männlichkeit. Das taube Gefühl der Ziellosigkeit, das seine Filme bestimmt, speist sich aus einem ausgeprägt maskulinen Trieb: die Menschenjagd in „Ride in the Whirlwind“, die alle zivilisatorischen Errungenschaften außer Kraft setzt, die sinnlose Beschleunigung in „Two-Lane Blacktop“, der Todeskampf der Tiere in „Cockfighter“. Doch Hellman beschrieb die innere Leere seiner männlichen Figuren (durch die Feder seiner Autorin Carole Eastman) nicht ohne Sympathie. Im melancholischen Blick von „Sweet Baby“ James Taylor (in „Two-Lane Blacktop“) und der fatalistischen Sprachlosigkeit von Warren Oates’ Figuren wurde der einst so hoffnungsvollen Protestgeneration der schmerzhafte Verlust ihrer Ideale bewusst.

■ Ab 1. 3. im Arsenal-Kino, Programm unter arsenal-berlin.de