"Die Sache steht still"

■ Trotz Urteils will DuMont einen Redakteur nicht wieder einstellen

Das Urteil in eigener Sache war dem Kölner Stadt-Anzeiger gestern nur eine kurze Notiz wert. Die Kündigung des Redakteurs Hartmut Schergel sei zwar unwirksam, das Verlagshaus behalte sich aber vor, in Berufung zu gehen. „Die sehr kurze mündliche Begründung der Entscheidung überzeuge nicht.“

Vor dem Arbeitsgericht hatte das noch weitaus krasser geklungen. Dort verstieg sich der Verlagsanwalt zu der Behauptung, Schergel sei „ein publizistisches Sicherheitsrisiko“.

Als solches war in letzter Zeit eher der Groß-Verleger Alfred Neven-DuMont eingestuft worden, dem die IGMedien im Herbst den „Goldenen Maulkorb“ verlieh – schließlich trug der Fall Schergel sämtliche Züge einer Zensurmaßnahme: Der Magazin-Redakteur hatte im Kölner Stadt-Anzeiger den Artikel eines freien Mitarbeiters veröffentlicht, in dem behauptet wurde, nach der Beteiligung des Verlages an einem Reiseveranstalter seien die Autoren nicht mehr in der Lage, objektiv zu berichten. Angesichts dieser Kritik läuteten beim Verleger nicht nur die Alarmglocken, sondern brannten gleich alle Sicherungen durch: Der 52jährige Schergel (immerhin seit 25 Jahren beim Stadt-Anzeiger) wurde fristlos entlassen. Begründung: Der Artikel sei tendenzwidrig und geschäftsschädigend. Außerdem habe der Redakteur versäumt, seinen damaligen Chef Dieter Jepsen-Föge auf die Brisanz des Stückes aufmerksam zu machen. (Dabei hatte Schergel in der Redaktionskonferenz auf das Thema hingewiesen.) Als sich in anderen Medien Kritik regte, wendete sich der Groll des Autokraten prompt gegen die Konkurrenz. Der FR drohte er gar, den Vertrag mit einem gemeinsamen London-Korrespondenten aufzulösen.

Selbst juristisch scheint der Rachefeldzug des Verlegers vorerst nicht zu stoppen zu seien: Denn trotz des Urteils will DuMont den Redakteur nicht wieder beschäftigen. „Die Sache steht so lange still, bis die schriftliche Begründung des Urteils kommt“, sagt der Redaktionsbeauftragte des Kölner Stadt- Anzeigers, Reinhard Munkes. Erst dann sei das Urteil rechtswirksam. Obwohl die Richterin vor dem Arbeitsgericht feststellte, daß keine Geschäftsschädigung erkennbar sei, setzt man im Hause Schauberg DuMont offenbar auf ein Berufungsverfahren. Ein solches erscheint schon deshalb wahrscheinlicher als eine Einigung, weil der Verlag dem Redakteur immer noch „Uneinsichtigkeit“ vorwirft.

So „uneinsichtig“ offenbar, daß ihn Schauberg DuMont dauerhaft loswerden will und dabei selbst eine weitere Schädigung des ramponierten Images in Kauf nimmt. Denn eigentlich wäre der Zeitpunkt günstig gewesen, den Schaden zu begrenzen. Seit Anfang der Woche hat der Stadt-Anzeiger nämlich einen neuen Chefredakteur: Martin E. Süskind, der von der Süddeutschen Zeitung kam.

Doch selbst Schergel, der „am liebsten morgen wieder arbeiten“ würde, ist allenfalls gedämpft optimistisch. Im Augenblick sondiere sein Anwalt, wann er wieder beim Stadt-Anzeiger anfangen könne: „Ich will nicht der tausendste Kölner Freie sein.“ Ob die Schere im Kopf nach diesem Fall größer sei? „Die kennt doch jeder Journalist“, sagt Schergel, und im übrigen habe er sich „nichts vorzuwerfen.“

Unterstützung war ihm immerhin von den Kollegen zu Teil geworden. Die hatten sich zwar aus Angst vor weiteren verlegerischen Zwangsmaßnahmen noch nicht einmal zu einer Unterschriftenliste durchringen können, dennoch wurde nach dem Urteil hörbar aufgeatmet. „Das war ein Zeichen für die Redaktion, daß der Verleger doch nicht alles machen kann, was er will“, sagt eine Mitarbeiterin – die, wen wundert's, lieber anonym bleiben will. Oliver Gehrs