„Viel zu sehr Idealist“

Dem Karlsruher SC droht mal wieder der Ausverkauf, doch Trainer Schäfer denkt nicht an Abschied  ■ Von Frank Ketterer

Das Wetter ist recht ungemütlich in diesen Tagen, zumindest im Badischen. Der Wind pfeift wieder eisiger, zusammen mit dem nie ganz verebbenden Regen legt er ein Grau in Grau übers Land, das den Anschein erweckt, als wolle es gleich noch mal Winter werden. Das muß wohl so sein, wenn heute die Bundesliga in die Rückrunde startet, weil der Winter doch immer zurückkommt, wenn die nach ihm benannte Pause sich ihrem Ende nähert.

Auf Platz zwei des Karlsruher Wildparks, dort, wo das Grün der Übungswiese längst einen braunmorastigen Farbton angenommen hat, gehen die Dinge vor dem samstäglichen Heimspiel des Tabellenfünften gegen Hansa Rostock wieder ihren geregelten Gang. 18 Mann, nur der Kleinste der Truppe fehlt, rennen über den Platz, mal mit, mal ohne Ball, immer aber sofort reagierend, wenn der Herr in der Mitte des Platzes Signal gibt. Dann scharen sie sich um Winfried Schäfer, dessen rotblonde Mähne vom Wind zerzaust ist, und lauschen andächtig, was der Trainer zu sagen hat. So muß es sein – und ganz speziell in Karlsruhe ist es auch immer so.

Nur in dieser Winterpause haben sie es mal anders versucht. Da hat plötzlich jeder, der etwas zu sagen hat im Verein, was gesagt – und jeder zu einem anderen Reporter. Herausgekommen ist ein formidables Wintertheater, so richtig, wie sie das bei Bayern München das ganze Jahr über spielen. Im nachhinein ist schwer auseinanderzudividieren, wer denn nun mit dem Komödienstadl begonnen hat, fest steht nur, daß am Ende in einem Boulevardblatt sogar Wetten auf Schäfers Weggang aus Karlsruhe angeboten wurden.

Der Trainer winkt bloß ab, wenn er solche Dinge liest. Seine elfte Saison ist das nun beim KSC, bis zum Jahr 2000 läuft sein Vertrag. Den will er, wie er sagt, nicht vorzeitig auflösen, weil er noch nie einen Vertrag vorzeitig aufgelöst hat. Auch dann möchte er es nicht tun, beteuert Schäfer, wenn seine drei Besten am Ende der Runde den KSC verlassen sollten. Traurig wäre er natürlich, „wenn der Icke, der Sean und der Tanne“ auf einen Schlag gehen sollten. „Weil die sehr wertvoll sind“ und weil Schäfer weiß, daß für Thomas Häßler, Sean Dundee und seit kurzem auch für Michael Tarnat kaum Ersatz zu finden sein wird. „Dann wären wir in einer Situation“, sagt Schäfer, „wo die Struktur der Mannschaft kaputt ist.“

Davor hat er ein bißchen Angst; daß wieder auseinanderfällt, was er so mühsam zusammengefügt hat. So wie nach den ersten Uefa- Cup-Streifzügen des KSC vor etwas mehr als zweieinhalb Jahren. So wie es eigentlich immer war in Karlsruhe. Schon beim Aufstieg in die Bundesliga in seinem ersten Trainerjahr, als sie Rainer Schütterle, ihren Torschützenkönig, zum VfB Stuttgart ziehen lassen mußten. Schütterle war nur der erste Name einer langen Reihe; Kreuzer, Scholl, Kahn, Sternkopf, als bisher letzter Nowotny. Immer wieder wurden sie ihm weggekauft, seine Leistungsträger, immer wieder hat er neue aufgebaut.

Und Prügel eingesteckt, wenn es in den Jahren dazwischen nicht so gut lief, weil die Mannschaft sich erst finden mußte. Ganz schuldlos war Schäfer daran natürlich nicht, zu vollmundig hat er manchmal allzu große Dinge angekündigt. Wie seine Vision vom KSC 2000, die ihn und die Mannschaft in naher Zukunft auf dem Karlsruher Rathausbalkon zeigen sollte, die Meisterschale gen Himmel reckend.

Erfolgsorientiert war Winfried Schäfer schon als Spieler. 403 Bundesligaspiele hat er absolviert, war mit Borussia Mönchengladbach Deutscher Meister 1970 und Uefa- Cup-Sieger 1979, mit Kickers Offenbach DFB-Pokalsieger 1970. „Ich will immer gewinnen“, sagt er auch heute noch, und sei es nur, wenn er sich mit seinen Kickern im Trainingsspielchen mißt. Genau dieses Gewinnenwollen hat ihnen gefehlt in Karlsruhe. Bis Schäfer kam vor elf Jahren und immer mehr wollte und mehr und mehr.

Und ziemlich viel bekam, auch an Macht im Verein. Als Großherzog von Baden hat ihn ein Journalist einmal beschrieben, um deutlich zu machen, wie fest dieser Winfried Schäfer seinen Verein im Griff hat. Dem Cheftrainer gefallen solche Assoziationen nicht, richtig böse soll er damals sogar geworden sein. „Ich bin hier nicht Alleinherrscher, so wie einige das darstellen“, sagt Schäfer. Andererseits weiß er sehr wohl, daß er beim KSC mehr zu sagen hat als irgendwo sonst ein Trainer in der Bundesliga. Auch deswegen ist er immer noch hier im Badischen.

An lukrativen Angeboten hat es in den letzten Jahren nicht gefehlt. Schäfer könnte längst bei einem Verein auf der Bank sitzen, der ihm die Mannschaft zusammenkauft, die es braucht, um Meister zu werden. „Dazu bin ich vielleicht viel zu sehr Idealist“, begründet Schäfer, warum er all diese Angebote stets ausgeschlagen hat. Natürlich fehlt ihm noch ein Titel oder ein Pokal, nah dran war er mit dem Erreichen des DFB-Pokalfinales letzte Saison schon einmal, auch wenn die Niederlage gegen die Absteiger aus Kaiserslautern dann eine seiner größten Enttäuschungen wurde. Seine eigentlichen Erfolgserlebnisse zieht Schäfer aber ohnehin aus anderen Dingen. Daraus zum Beispiel, wie er aus dem einstmals unbeachteten KSC einen Verein geformt hat, der seit vielen Jahren unter den ersten Sieben in der Tabelle steht. Oder daraus, wie er immer wieder junge Spieler „von null auf hundert“ bringt, auch wenn er sie danach verkaufen muß. „Das ist mein Lebenswerk“, sagt Schäfer.

Trainer werden war schon immer Schäfers Traumberuf, heute ist er einer der Stars der Branche. Er hat sich das erarbeitet, so wie er sich alles in seinem Leben erarbeitet hat. „Ich habe seit meiner Kindheit, und das nicht nur wegen meiner roten Haare, für alles malochen und kämpfen müssen“, hat Schäfer einmal gesagt. Das tut er auch heute noch, sogar während der 90 Minuten, wenn er manchmal wie Rumpelstilzchen vor der Trainerbank auf- und abhüpft, daß einem angst und bange um seine Gesundheit werden kann. Nicht zufällig nennt er das „Mitarbeiten mit der Mannschaft“, weil er plötzlich weiß, „daß wir nur gewinnen können, wenn wir das und das und das machen“. Und das muß er der Mannschaft doch sagen.

Schäfers Leben ist Fußball, und nach dem Spiel ist bei ihm stets vor dem Spiel. Da kreisen dann ein paar Stunden nach Spielende die Gedanken schon wieder um den nächsten Gegner. Abschalten gelingt ihm nur kurzfristig, am besten bei seiner Frau Angelika und seinen beiden Kindern. „Wenn ich die nicht hätte“, sagt Schäfer, „dann würde mich der Verein ganz auffressen.“