Opel München auf dem Weg zur Fußball-Aktiengesellschaft

An diesem Wochenende beginnt die Rückrunde der Fußball-Bundesliga. Die Clubs kämpfen dabei nicht nur um Tore, Punkte und die Meisterschaft, sondern auch um den ökonomischen Erfolg. Die „schönste Nebensache der Welt“ wird dabei auch für die Vereine immer zweitrangiger  ■ Von Hermannus Pfeiffer

Drei Flaschen Weißwein zu 35 Mark bringen dem FC Bayern München satte 17 Mark 50 ein, plauderte Manager Uli Hoeneß in einer Fernsehsendung. Gewinn: 50 Prozent. Angesichts solcher Spannen mutiert der einstige Fußballverein zum Versandhändler: Der gesamte Umsatz mit Fanartikeln verdoppelte sich in einem Jahr. Die gesamte Bundesliga, sportlich in Europa eher zweitklassig, erlebt einen ökonomischen Boom: Die Balltreter haben den Kapitalismus entdeckt.

Finanzielle Nutznießer sind vornehmlich die auch international spielenden Großvereine. Der Umsatz des Branchenführers Bayern München (Trikotschriftzug: Opel) überstieg im Geschäftsjahr 1995/96 die 147 Millionen Mark – ein Plus von fast 20 Prozent. Doppelmeister Borussia Dortmund legte gar um mehr als 50 Prozent zu.

Über 9 Millionen Zuschauer durchschritten die Stadiontore in der zurückliegenden Saison, mehr als jemals zuvor. Zusätzliche Einnahmen brachte der Bau von teuren Sitzplätzen und VIP-Logen – die klassischen Stehränge sind mancherorts vom Aussterben bedroht.

Trotz Zuschauerrekorden nahm aber die finanzielle Bedeutung der Stadionbesucher ab. Dreiviertel der Einnahmen entfallen bei Großclubs auf TV-Honorare, Werbegeschäfte sowie den Verkauf von Fanartikeln und Lizenzen. Gerade letzteres wird immer wichtiger.

Aus den Einzelheiten seiner Bilanzposition „Merchandising“ macht der Bayern-Pressesprecher Markus Hörwick ein Geschäftsgeheimnis. Doch der Branchenprimus Bayern verdoppelte seinen Merchandising-Umsatz innerhalb des gerade abgeschlossenen Geschäftsjahres auf 69 Millionen Mark mit Trikots der Stars, mit Dominosternen oder Senf. Zum Vergleich: Der „arme“ FC St. Pauli erlöste 1,5 Millionen – übrigens Vereinsrekord!

Derweil werden allerorten weitere Profitansätze gesucht. Borussia Dortmund privatisierte zusammen mit seinem Hauptsponsor, der mittelgroßen Versicherung Continentale, das städtische Stadion. 13.000 neue Sitzplätze bringen etwa 8 Millionen Mark zusätzlich in die Saisonkasse. „Mit unserer großen Platznachfrage haben wir jedoch eine besondere Situation am Standort“, warnt Verwaltungsleiter Dr. Christian Hockenjos vor Nachahmung. Neue Einnahmemöglichkeiten sehen die Ruhrgebietler im eigenen Stadion-TV und in einer Gastronomie mit „Stammplätzen“, die an gut 150 „Sponsoren“ ab 40.000 Mark vermietet wurden. Borussia Mönchengladbach kooperiert für den Fan-Versand mit dem Bertelsmann-Konzern. Der Hamburger Sport-Verein investiert in steuerprivilegierte Ost-Immobilien!

Im kommerziellen Rausch übersieht manches Vereinspräsidium die Gefahren – oder interessiert sich nicht dafür. Helfen könnte da ein Blick in das Fußball- Mutterland, zugleich das Vaterland des Kapitalismus: Sportlich und ökonomisch lange Zeit von der Spitze verschwunden, ist England seit 1996 wieder der globale Fußballmagnet. Das Fernsehen zahlt mehr als das Doppelte der deutschen Honorare. Acht britische Fußballvereine wandelten sich zu Aktiengesellschaften: Der „Football Club-Index“ von Nomura Research sprang von Januar bis November um 154 Prozent nach oben. Neue Zielgruppen wurden von den Werbestrategen mobilisiert, insbesondere die unterhaltungs- und zahlungswillige gehobene Mittelklasse. Fort bleiben dafür die traditionellen Fußballanhänger!

Aus einer Leidenschaft wird Entertainment, auch in Deutschland. Mittelfristig könnte die Kapitalisierung jedoch nicht nur die geschäftliche Basis zerrütten: „Der Zwang zum Sitzplatz droht die traditionelle Fußballanhängerschaft zu zerstören und die Fans – nicht die Hooligans – aus den Stadien zu vertreiben“, beobachtet der Hannoveraner Sportsoziologe Gunter Pilz.

Auch in diesem Wirtschaftsaufschwung finden wir Verlierer. Schon die Zweite Liga steht abseits – und auch mancher Erstligist: Der hochverschuldete Aufsteiger Arminia Bielefeld wartet bislang vergeblich auf Fan-Euphorie und Merchandising-Millionen. Folge: Die Banken verweigerten zeitweilig Kredite, meldet das Fachblatt Kicker. Um die aktuelle Liquidität zu sichern, verkaufte die Arminia schon im Herbst Eintrittskarten für die beiden Topspiele in diesem Frühjahr. Kein Einzelfall: Die Hälfte der Bundesligisten erwartet im DFB-Lizenzierungsverfahren für die Saison 97/98 erhebliche Probleme. Insider munkeln, daß ein finanzieller Massenabstieg aus der Ersten Liga drohen könnte. Immerhin acht Clubs seien „hoffnungslos verschuldet“.

Den Liga-Mittelbau mit ungewissen Zukunftsaussichten bilden Clubs mit kleinem Jahresetat von um die 20 Millionen Mark, aber mit solidem Management und ohne Schulden – wie der proletarisch-bissige FC St. Pauli. Dabei ist der eloquente Vizepräsident Hinzpeter überzeugt, „daß wir keine Chance mehr haben, an Dortmund oder Bayern ranzukommen“. Dahinter gebe es maximal weitere neun Vereine, die um die lukrativen Uefa-Cup-Plätze streiten.

Arm, aber bilanziell gesund – solches gilt nicht für jeden Bundesligisten. Während die Liga-Einnahmen innerhalb von zehn Jahren in Wolkenhöhe kletterten, schufen unkontrollierte Vereinsfürsten einen alpenhohen Schuldenberg: Insgesamt beträgt die Schuldenlast der beiden Ligen – dies soll das jüngste Lizenzverfahren des Deutschen Fußball- Bundes (DFB) ergeben haben – mehr als 550 Millionen Mark. Bestätigen mag DFB-Direktor Wilfried Straub, der oberste Bundesligist, solche Zahlen zwar nicht. „Aber die Entwicklung ist nicht positiv.“

Durch den Wegfall der Ablösesummen für Spieler mit auslaufenden Verträgen und durch die immens gestiegenen Kicker-Gehälter sei jetzt „Solidarität“ gefragt. Hermannus Pfeiffer