"Mit dem Hirntod endet nicht das Leben"

■ Das Transplantationsgesetz ist in der Koalition umstritten. Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) lehnt einen Entwurf des Gesundheitsministers ab. Der Hirntod ist für den Liberalen ein "

taz: Herr Schmidt-Jortzig, Sie gelten innerhalb des Regierungslagers nicht gerade als Rebell. Was veranlaßt Sie, beim Thema Transplantationsgesetz einen von Gesundheitsminister Seehofer abweichenden Entwurf vorzustellen?

Edzard Schmidt-Jortzig: Für mich ist das Entscheidende, daß es eine Definition des Lebensendes, die am Hirntodkriterium festgemacht wird, nicht geben kann. Es ist auch eine ethische und philosophische Frage: Was ist Leben? Nach dem Hirntod existieren alle möglichen Funktionen noch weiter. Frauen können noch Schwangerschaften austragen, sie können sogar noch empfangen, Männer haben noch Samenproduktion. Daß alles das noch möglich ist – was ja alles mit Leben zu tun hat –, das macht aus, daß ich nicht strikt sagen kann: Hirntod ist gleich Tod. Es kann nicht sein, daß das Leben mit dem Hirntod definitiv zu Ende ist. Es ist aber jedenfalls mit dem Herztod zu Ende.

Wenn das, was Sie sagen, stimmt, der Hirntod also nicht als Definitionskriterium für den Tod taugt, dann kann aber doch eigentlich auch kein Spender einer Organentnahme mittels Bescheinigung zustimmen. Das liefe ja dann praktisch auf eine strafbare Tötung auf Verlangen hinaus.

Nein, nein. Das ist eine vom Grundgesetz voll abgedeckte und gerechtfertigte Entscheidung, die allein die autonome Entscheidung über den eigenen Sterbeprozeß betrifft. Es ist ja nicht so, daß ein Arzt ans Bett tritt und von sich aus einem voll funktionsfähigen Körper ein lebenswichtiges Organ entnimmt. Mit dem Hirntod hat die Einleitung des Sterbeprozesses unwiderruflich eingesetzt. Wenn der Arzt gar nichts getan hätte, wäre der Mensch längst tot; er hängt ja nur noch an den Maschinen, weil er für eine potentielle Organentnahme bereit gehalten werden soll.

Gibt es persönliche Erfahrungen, die Sie zu Ihrer Einstellung gebracht haben?

Ja, ich habe mich auch von einem Freund beeindrucken lassen, der ans Bett seines Kindes gerufen wurde. Es war als hirntot beschrieben, und er wurde von den Ärzten gefragt, ob er einer Organentnahme zustimme. Dieser Freund hat mir geschildert, wie ein menschlicher Körper in dieser Phase reagiert: Er ist warm, er ist durchblutet, wenn man ihn streichelt, merkt man Reaktionen.

Haben die Eltern einer Organentnahme zugestimmt?

Die Eltern haben sich in dieser Situation dagegen entschieden. Das kann ich auch verstehen. Wenn das Leben noch nicht zu Ende ist und der Hirntod ein Teil des Sterbeprozesses ist, dann kann nur der Betroffene zustimmen, wie er seinen Sterbeprozeß gestalten will. Sonst gibt es keine Legitimation – auch rechtlich gemeint –, einen hirntoten Menschen überhaupt noch weiter in der Existenz zu behalten. Die lebensverlängernden Maschinen haben ja in der Situation nur den Zweck, eine Organentnahme zu ermöglichen.

Ist Rücksicht auf Angehörige mit ein Grund, warum Sie nur den potentiellen Spender selbst und nicht auch die Verwandten über eine Organentnahme entscheiden lassen wollen, also für die sogenannte enge Zustimmungslösung plädieren?

Nein. Ich sehe zwar auch, daß eine solche Anforderung für Angehörige eine ziemliche Zumutung sein kann, aber das spielt für mich nicht die entscheidende Rolle. Ich habe mir einen entsprechenden Spenderausweis zugelegt. Ich möchte es selber entscheiden und möchte das ungern von anderen machen lassen, auch wenn sie mir noch so nahe stehen, die vielleicht eine andere Vorstellung vom Wert des Lebens haben.

Warum haben Sie und andere aus den Regierungsfraktionen einen eigenen Entwurf vorgelegt und sich nicht dem Entwurf der Bündnisgrünen und Teilen der Sozialdemokraten angeschlossen, der ja im Prinzip genau das vorsieht, was Sie eigentlich wollen?

Da gibt es schon noch bedeutsame Unterschiede. Wir wollen beispielsweise die Auseinandersetzung mit dieser Problematik zur Bürgerpflicht machen, indem etwa bei der Ausstellung eines neuen Personalausweises Fragen nach der Bereitschaft zur Organspende beantwortet werden müßten. Insgesamt ist aber noch gar nicht entschieden, was da laufen wird. Voraussichtlich wird sich die parlamentarische Entscheidung ohnehin noch etwas verzögern, weil offenbar auch die Autoren des Seehofer-Entwurfs nach der Sachverständigenanhörung gewisse Bedenken bekommen haben. Auch ob es vielleicht überhaupt einen parteiübergreifenden Entwurf geben wird, das weiß ich jetzt noch nicht.

Aber jetzt finden Organentnahmen doch in einer rechtlichen Grauzone statt?

Richtig. Deshalb ist es auch überhaupt keine Frage, daß wir eine Rechtsgrundlage brauchen.

Aber eilt es da nicht?

Natürlich. Und deshalb werden wir das Gesetz vor dem Beginn des Wahlkampfes verabschieden. Es muß vor Ende dieser Legislaturperiode 1998 ins Gesetzblatt, und das wissen auch alle. Interview: Bettina Gaus