„Sex soll ersetzen, was das Leben vereitelt“

■ Interview mit Oswalt Kolle über den Wandel in den Geschlechterbeziehungen während der letzten 30 Jahre: Von der Verführungsgesellschaft zum „sexuellen Konsens“

Oswalt Kolle, 68, war in den 60er Jahren Chefaufklärer der Deutschen und schrieb beispielsweise das Drehbuch zum „Hausfrauen“- Report. Von dem in Amsterdam lebenden Autor erscheint demnächst im Econ-Verlag das Buch: „Die Liebe altert nicht“.

taz: Herr Kolle, der Valentinstag gilt als Tag der jungen Liebe. Was hat sich denn an der Liebe und an der Sexualität in Deutschland seit den sechziger Jahren geändert?

Oswalt Kolle: Mir fällt vor allem auf, daß der Sexualität ein viel zu großer Stellenwert beigemessen wird. Schaut man sich im Fernsehen um, blättert in Zeitschriften, kommt mir der Sex inzwischen wie Hochleistungssport vor.

Was von den Menschen auch unkritisch geglaubt wird.

Sicher, aber darauf kommt es nicht an. Entscheidend ist doch, daß die Menschen mittlerweile glauben, vom Sex hinge alles ab. Er, aber auch die Liebe sollen alles ersetzen, was das Leben sonst an Glücksmöglichkeiten vereitelt. Und das kann nur niederschmetternde Resultate haben, wie auch die einschlägigen Untersuchungen bestätigen.

Dabei haben gerade Sie doch immer offen dafür gestritten, die Sexualität von Scham und Schuldgefühl zu befreien. Wie paßt das zusammen?

Das waren ja auch andere Zeiten. Damals war es richtig, unverkrampfter über Sex zu sprechen. Die Verhältnisse waren ja so muffig, wie man sich das heute nicht mehr vorstellen kann. Sexualität galt als schmutzig und notwendiges Übel für das Kinderkriegen. Heute ist Sex ein Muß: Nur wer ständig guten Sex hat, gilt nicht als Versager.

Wie soll man's denn nehmen?

Ich würde es mit einem Spruch Friedrichs des Großen beantworten: Niedriger hängen! Es gibt eben gute Tage, es gibt aber auch schlechte Tage.

Offenbar funktioniert das nicht. Sexualberatungsstellen können sich vor Anfragen kaum retten – gerade seitens der Männer oder von Frauen, die über Unlust ihrer Männer klagen.

Kein Wunder. Während der letzten Jahrzehnte hat sich gerade das Verhältnis der Geschlechter geändert – das ist der entscheidende Punkt. Früher mußte der Mann die Frau verführen. Die hat grundsätzlich erst mal nein gesagt, obwohl sie vielleicht gemocht hätte. Plötzlich kamen sie dann doch zueinander.

Heute spricht der Sexualforscher Gunter Schmidt vom sexuellen Konsens, den die Geschlechter aushandeln.

Und früher hatten wir eine Verführungsgesellschaft. In der konnte die Frau insgeheim immer unschuldig tun. Der Mann hingegen sah sich bestätigt, daß den Frauen zu ihrem Glück ein bißchen nachgeholfen werden muß.

Und trotzdem funktioniert es nach diesem Blickwechsel heute nicht so doll in deutschen Schlafzimmern.

Weil die Männer, aber auch die Frauen noch nicht damit umgehen können. Männer sind es nicht gewohnt, daß Frauen sie offen begehren. Eine Situation, in der sie sich leicht überfordert fühlen. Frauen hingegen gewöhnen sich auch erst langsam an die Rolle, die einst nur Männern möglich war.

Haben Frauen etwa nicht die bessere Sexualität?

Nein, sie war immer nur die Ergänzung zur männlichen Sexualität. Mit diesem Arrangement waren beide Geschlechter überwiegend einverstanden. Nun müssen Frauen auch lernen, daß Lust nicht mit Schuld verbunden sein muß. Und daß sie auch dafür einstehen müssen, wenn es mal eher nicht so glänzend lief im Bett.

Früher durften nur Männer schmutzige Gedanken haben.

Nun sind es beide Geschlechter, soviel ist sicher. Ich denke da vor allem an Woody Allens schönen Satz auf die Frage, ob Sex schmutzig ist. Da sagte er: Ja – wenn er gut ist.

Hätten Sie ein Rezept parat, all diese Wirren um die Liebe aufzulösen?

Nein, nur die Empfehlung, geduldiger zu sein. Die Konfusion wird, da bin ich ganz sicher, allerdings noch einige Generationen dauern.

Werden Sie Ihrer Frau Blumen zum Valentinstag schenken?

Ach, auf solche Tage reagieren wir eher unlustig. Der Valentinstag wird von uns boykottiert, er ist nur – wie beim Muttertag – für die Blumenindustrie gut. Im übrigen schenkt meine Frau auch mir Blumen. Und darüber freue ich mich dann sehr, wann auch immer. Interview: Jan Feddersen