Wir basteln uns einen Nazi Von Wiglaf Droste

Er war schon lange das Sorgenkind der deutschen Boulevardblätter. „Harald BITTE hör auf!“ titelte die BZ am 22. Dezember 1994 und zeigte dazu das Bild eines trinkenden Harald Juhnke, hinter den der BZ-Fotograf eine 18jährige Schülerin gestellt hatte. In der Folge verkündeten Berliner Kneipiers, Juhnke ab nun keinen Tropfen mehr ausschenken zu wollen – ganz so, als ob er bis dato Stammgast in ihren Kaschemmen gewesen wäre. Seit einer Woche aber beteiligt sich das gesamte deutsche Volk an der Erziehung des Harald Juhnke, und das ist richtig eklig.

„Im Suff kommt ja nur heraus, was ein Mensch schon vorher im Kopf hatte“, weiß die grüne Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer; daß die Bielefelder Pastorin nicht nur den Schnabel, sondern auch den Schnaps nicht halten kann, will ich gern glauben: So reden Leute daher, die sich erst einen antrinken müssen, bevor sie sagen können, was sie wirklich denken (wenn man das Zeug denn denken nennen will). Daß der Trinker Juhnke ähnlich ticke, ist nicht anzunehmen; man weiß es nicht, wie auch niemand weiß, was Juhnke eigentlich wirklich gesagt hat. Als Gewährsleute der tatsächlichen oder bloß behaupteten Juhnkeschen Entgleisungen traten ein mit Juhnke zerstrittener Fernsehregisseur, die Bild am Sonntag sowie der Premiere-Programmdirektor und ehemalige Chefredakteur von Max, Andreas Wrede, auf; Wrede und die BamS-Leute waren erstens aber gar nicht dabei und dürfen zweitens als eher trübe Quellen gelten. Es hätte also Gründe genug für die Öffentlichkeit gegeben, sich der Angelegenheit besonnen zu nähern; schließlich war die Möglichkeit einer Intrige durch üble Nachrede immerhin denkbar, und dann gibt es ja eigentlich auch noch die gute alte Unschuldsvermutung.

Weil aber manchem das Schreien schöner scheint als das Denken, mußte geschrien werden; junge, ganz fixe Kollegen taten sich hervor und schrieben, Juhnke habe „als Nazi debütiert“, oder spekulierten darüber, ob Juhnke „doch gern in Mölln dabeigewesen wäre“ – hier zeigt der Nachwuchs, daß er's schon so gut kann wie die Alten, die herumheulen, Juhnke habe „die Deutschen vor aller Welt blamiert und Vorurteile über neuen Rassismus in Deutschland geschürt“, weil es in Deutschland ja keine Nazis gibt, außer Adolf Hitler und Harald Juhnke natürlich.

Denn das haben die Deutschen, wie sie so unnachahmlich sagen, „aus ihrer Geschichte gelernt“: daß Nichtnazisein die Fähigkeit sei, unentwegt jederzeit abrufbaren moralischen Aspik zu produzieren oder notfalls Empörung zu simulieren, und daß man die eigene Anständigkeit, von der man besessen ist, am geschicktesten dadurch demonstriert, daß man sich kollektiv einen, der kein Nazi ist, als Nazi ausguckt und dann kollektiv draufschlägt. Sehr hilfreich sind dabei auch so vage Kriterien und Anwürfe wie Rassismus oder Sexismus, die bewährten Mehrzweckwaffen bei Streitigkeiten aller Art.

Blamiert hat sich in der Affäre Juhnke die Kamarilla, die es angeblich in Deutschland gar nicht mehr gibt und die trotzdem ständig präsent ist: Gefühlssozis, die sich mit nichts im Kopf und keinem Argument in der Hand in die Eigenbrust werfen und die bei jeder Denunziation mitmachen, wenn sie am Ende nur als gut und edel dastehen dürfen.