Rinderwahn hilft Trinkwasser

EG-Kommission will strenge Pestizidgrenzwerte beibehalten, weil sie im Augenblick die VerbraucherInnen nicht zu sehr reizen kann  ■ Aus Bonn Niklaus Geiler

Die EU-Kommission hat ihre Haltung zur Aufweichung der Pestizidgrenzwerte in der EU-Trinkwasser-Richtlinie revidiert. Sie will die Grenzwerte für Pflanzenschutzmittel nun doch nicht senken. Im Hinblick auf die anstehende Novelle der Trinkwasser- Richtlinie der Europäischen Union hatte die Kommission seit zwei Jahren den Kurs verfolgt, den Grenzwert für einzelne Pestizidwirkstoffe von 0,1 Mikrogramm pro Liter zeitlich befristet zu öffnen. Der Summengrenzwert – mehrere Pestizide zusammen dürfen die Schwelle von 0,5 Mikrogramm nicht überschreiten – hätte gänzlich gestrichen werden sollen.

Am 30. Mai 1995 hatte die EU- Kommission nach jahrelangem Trommelfeuer der Pestizidindustrie und der Brüsseler Agrarlobbyisten einen Entwurf für die Neufassung der EU-Trinkwasser-Richtlinie vorgelegt. Wegen der lascheren Grenzwerte gab es heftige Auseinandersetzungen innerhalb der Europäischen Union. Von ihren Aufweichtendenzen ist die EG-Kommission jetzt aber überraschend abgerückt. Alles soll so bleiben wie gehabt: Der seit 1980 in der Richtlinie enthaltene 0,1- Mikrogramm- Einzelstoffgrenzwert wird ebenso unverrückbar Bestand haben wie der 0,5-Mikrogramm-Summengrenzwert.

Sachkenner im Bonner Gesundheitsministerium führen den Kurswechsel der EU-Kommission darauf zurück, daß „denen in Brüssel inzwischen die BSE-Krise ganz gehörig in die Knochen gefahren ist“. Auch nur vermeintliche Aufweichungen der Verbraucherschutzes seien angesichts des Rinderwahnsinn-Desasters derzeit politisch nicht durchsetzbar.

Deutschland für alte Pestizidgrenzwerte

Zufällig am gleichen Tag, an dem der Kurswechsel der EU-Kommission bekannt geworden war, hatte sich am 20. Februar auf Einladung des Bundesgesundheitsministeriums eine Runde von Bonner Staatssekretären und Abteilungsleitern aus dem Landwirtschafts-, dem Bau-, dem Umwelt- und dem Wirtschaftsministerium getroffen, um über die Position der Bundesregierung zur ursprünglich geplanten Revision der Trinkwasser- Richtlinie zu beraten. Während man in der vergangenen Legislaturperiode gegenüber dem Industrieverband Agrar (IVA) noch ein Entgegenkommen signalisiert hatte, stieß jetzt der ebenfalls geladene Hauptgeschäftsführer des IVA mit seinen Vorschlägen zur partiellen Entschärfung der Pestizidgrenzwerte nicht mehr auf viel Gegenliebe. Einhelliges Meinungsbild in den Reihen der Ministeriumsvertreter war, daß man mit den derzeitigen Pestizidgrenzwerten leben könne. Aufweichtendenzen würden in der Öffentlichkeit keinerlei Akzeptanz finden. Gravierende Gründe für eine Entschärfung der Pestizidgrenzwerte seien zudem nicht erkennbar.

In der Staatssekretärsrunde griff der Hauptgeschäftsführer des IVA, Oskar Böttcher, die unterschiedliche Bewertung der Pestizidgrenzwerte im Trinkwasser einerseits und der Schadstoffgrenzwerte in der Klärschlammverordnung, in der geplanten Biokompostverordnung und in der Bodenschutzgesetzgebung andererseits an. Während man die Landwirte mit ultrascharfen Pestizidgrenzwerten zunehmend zum Verzicht auf den chemischen Pflanzenschutz zwingen würde, erwarte man andererseits von den Landwirten, daß sie im Sinne der Schließung von Kreisläufen Klärschlämme und Komposte verwerten, die in ungleich höherem Maße mit Schadstoffen belastet sind als es dem Quasi-Null-Grenzwert im Trinkwasser entspricht.

Je nach Anwendung ein anderer Grenzwert

Hier würden im Sinne einer Doppelmoral höchst unterschiedliche Meßlatten eingesetzt, meinte Böttcher. Außerdem würde durch das pauschale Cut-off-Kriterium des 0,1 Mikrogramm-Grenzwertes die Neuentwicklung von Pestiziden behindert. Wenn Resistenzen gegenüber der bisherigen Palette von Pestizidwirkstoffen eintreten, würden für verschiedene Kulturen keine Ersatzpestizide mehr in der „Innovations-Pipeline“ vorrätig sein. Obwohl eine solche Argumentation in anderen Bereichen oft die Ministerialbeamten einknicken läßt, zeigten sie diesmal wenig Mitleid – BSE hilft dem Trinkwasser.